Auf allen Kanälen: Link dich doch selbst
Ein Branchenmagazin rät Journalist:innen zur Selbstvermarktung. Zum Beispiel auf Linkedin. Muss das sein?
Facebook ist tot, Twitter ist tot, und ich selbst fühl mich auch nicht so gut. Grund ist das, was übrig ist, seit die beiden textfokussierten Plattformen für Journalist:innen nutzlos oder ungemütlich geworden sind: das «Karrierenetzwerk» Linkedin. Wie viele andere Internet-Start-ups wurde Linkedin Anfang der nuller Jahre im Silicon Valley von ein paar Typen aus der «Paypal-Mafia» gegründet – mit dem Ziel, einen Haufen Geld zu verdienen beziehungsweise: «Mitglieder rund um den Globus zu vernetzen, um sie produktiver und erfolgreicher zu machen», wie es auf der Website heisst. Auf dieser Party dürfen Journalist:innen natürlich nicht fehlen. Linkedin sei zum wichtigsten Kanal geworden, las man im jüngsten «Edito», einem Magazin der Schweizer Medienbranche, das mit einem «Ratgeber zur Selbstvermarktung» aufwartete. Medienschaffende könnten sich «wertvoller machen», indem sie ihre Reichweite pflegten, heisst es darin, 500 Kontakte seien «ein guter Wert», wer aber wirklich «eine Stimme sein» wolle, brauche mehrere Tausend Kontakte. Dazu das Zitat einer Medienschaffenden mit gepflegter Reichweite: «Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Selbstmarketing ist die Selbsterfindung.»
90 Tage Fitness
Selbsterfindung (nicht zu verwechseln mit Selbstfindung), das klingt ja erst mal ganz nett, genau wie Linkedin: Linkedin, das mittlerweile Microsoft gehört, hat seinen Firmensitz in Sunnyvale, Kalifornien, Linkedin kennt keinen Hass, keine Häme, keinen Elon Musk. 4,3 Millionen Nutzer:innen hat die Plattform in der Schweiz, das sind mehr als auf Facebook oder Instagram, ein «Publikumsrenner», wie die «NZZ am Sonntag» vor einem Jahr titelte. In diesem Text hiess es auch, wer eine gute Nische finde und alle zwei Tage in einem Post sein Wissen teile, könne in nur neunzig Tagen «den Nimbus eines Spezialisten» erreichen. 45 Posts für so etwas Atmosphärisches wie einen Nimbus – da stellen sich schon ein paar Fragen, aber wir wollen jetzt mal die Party nicht versauen.
Linkedin ist der Fitnessguru unter den sozialen Netzwerken: entspannt, erfolgreich, positiv, aber auch fordernd, besonders in der Selbsterfindung. Auf Linkedin wird jede Sitzung zum «Kickstart» für ein neues disruptives Businessmodell, selbst wenn es nur um die Anschaffung einer Siebträgermaschine für das Büro geht. Wer auf Linkedin etwas postet, hält eine aufwendige Dankesrede auf sich selbst, dann hagelt es Gratulationen und Applaus. «Ich habe immer an dich geglaubt», wäre selbst auf den Siebträgermaschinenkauf eine passende Reaktion. Dass Linkedin seine Nutzer:innen aggressiv auffordert, ständig irgendwem zu irgendwas zu gratulieren, darüber redet man auf der Party nicht. Linkedin ist hoffnungsvoller Selbstbetrug, ein endloser Feed an Werbung in eigener Sache. Wie jede Plattform atmet auch diese den Geist der Silicon-Valley-Ikone Ayn Rand: Alles ist durchzogen von einem heroischen Individualismus.
Linkedin ist wie Body Positivity, die Bewegung, die Frauen mit ihren imperfekten Körpern versöhnen soll, um ihnen dann noch mehr Jeans zu verkaufen: Klingt im ersten Moment irgendwie nett, reproduziert aber auch nur die zermürbenden Schönheitsideale und Leistungsdogmen der Gesellschaft im Hyperkapitalismus.
Premium-Medienkrise
Und während man so scrollt, erinnert man sich plötzlich schwach an das Jahr 2012: Praktikum bei Tamedia, ein Linkedin-Einführungskurs und eine Premium-Mitgliedschaft als Geschenk, auf ein Jahr beschränkt. «Die Reichweite, die die Mitarbeitenden bringen, ist viel wichtiger als die Reichweite der Unternehmensseite», heisst es im Selbstvermarktungs-«Edito». Heute spart besonders Tamedia seine Redaktionen kaputt, ungeachtet dessen, ob Journalist:innen ständig sich selbst bewerben, für Linkedin «Content» produzieren und damit bares Geld in die undankbaren Rachen von Big Tech werfen. Die jüngste Massenentlassung wurde dann linkedinisch als «Konzentration auf das Wesentliche» verkauft.
Statt Selbstvermarktungstipps wäre doch angesichts dessen ein Aufruf zum kollektiven Widerstand angebracht, denkt man sich noch, bevor man zu viel Zeit auf Linkedin verscrollt hat und sich fühlt, als wäre einem der Kopf amputiert worden. Und was hat man gelernt? Kein Kopf? Kein Problem! Deine grösste Schwäche kann deine grösste Stärke werden.