Kino: Die Dämonen des US-Kapitalismus
In «Killers of the Flower Moon» läuft Martin Scorseses Filmmaschine fast schon zu perfekt.
Die USA, und mit ihnen ein grosser Teil der modernen westlichen Welt, sind auf mit Blut getränktem Boden gebaut: Auf Jahrhunderte der Sklaverei und die Beinahe-Ausrottung der indigenen Urbevölkerung folgte mit der Förderung des schwarzen Goldes im Namen des Fortschritts noch das metaphorische Ausbluten der Erde selbst. Dass zwischen diesen drei Dingen direkte Zusammenhänge bestehen, wird gerne ignoriert. Es gibt aber beinahe vergessene Fälle wie jenen der Ermordung der indigenen Osage im Oklahoma der 1920er Jahre, die daran erinnern, dass es in der Geschichte dieses «Fortschritts» keine sauberen Hände gibt.
Geld, Macht, Gewalt
Auch in seiner filmischen Aufarbeitung dieser Mordserie, die von 1918 bis 1931 das Osage-County heimsuchte, kreist Martin Scorsese erneut um jene zentralen Themen, die auch einen Grossteil seiner fünfzig Jahre umfassenden Filmografie ausmachen: die Wechselbeziehungen zwischen Geld, Macht und Gewalt sowie die Hoffnung auf Vergebung, die in der Regel enttäuscht wird.
Die Geschichte der Osage-Morde beginnt mit der Erkenntnis, dass in einer Position der Machtlosigkeit auch der grösste Reichtum wertlos ist. Im 19. Jahrhundert von ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet vertrieben, bekamen die Osage ein Reservat in Oklahoma zugesprochen – nur wenige Jahrzehnte ehe auf ebendiesem Land Öl entdeckt wurde. Mit dem Verkauf von Schürfrechten wurden die Osage zu den reichsten Menschen der Welt, dies allerdings zur rassistischen Empörung des weissen Amerika. Viele Osage wurden entmündigt, und ein missbräuchliches, wenn auch formal legales System zur Bereicherung mittels Vormundschaften entstand.
Mörderisch und brachial
Manchen Weissen reichte das noch nicht, und eine tote Indianerin war (sehr viel) profitabler als eine lebende. Wie es Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio, seit «The Wolf of Wall Street» Scorseses Avatar des kapitalistisch Unterbewussten), aus dessen Perspektive die Geschichte grösstenteils erzählt wird, im Film mehr als einmal ausspricht: «I really like money.» Man würde denken, dass die mörderische Verschwörung unter Leitung des freundlich-dämonischen William Hale dermassen brachial konzipiert war, dass sowohl den Angehörigen der Opfer wie auch den Ermittlern schnell hätte klar werden müssen, welch perfider Plan da ablief. Dabei verkennt man aus der Warte des Rückblicks aber, dass ein solch grausames und kaltblütiges Vorgehen aus nächster Nähe kaum vorstellbar war. Robert De Niro spielt den landesweit bestens vernetzten Rinderbaron Hale so, als wäre genau dies der zentrale Teil seines Kalküls gewesen.
Scorsese lässt von Anfang an keinen Zweifel an der Identität der Täter aufkommen und vermeidet so jeglichen problematischen Suspense. Mit «Killers of the Flower Moon» befindet sich der Regisseur auf der Höhe seiner Kunst. Alle Elemente von Scorseses Filmmaschine greifen hier so perfekt ineinander, dass während der dreieinhalb Stunden Laufzeit beinahe der Gedanke entstehen könnte, das vergessene Leid einer um alles betrogenen Minderheit werde hier fast zu makellos in ein mitreissendes Narrativ gepresst: «brought to you by Apple TV+».
Diese Gefahr hat aber auch Scorsese gesehen, der seinen Film deswegen am Ende, in einer bitter-ironischen Coda, auf eine neue Ebene hebt. Statt in Texteinblendungen erfahren wir, «was danach geschah», mittels makellos vertontem Radiobeitrag – «brought to you by Lucky Strike»: verknappt, zynisch und hoffnungslos. Das Blut ist längst im fruchtbaren Boden versickert, und keine Bohranlage dieser Welt wird es dort wieder herauspumpen können.
«Killers of the Flower Moon». Regie: Martin Scorsese. USA 2023. Jetzt im Kino.