Wichtig zu wissen: Berg- und Digitalbahn
Ruedi Widmer über Wahlnachten, Grüne und Massentourismus
Dieses Wochenende sind die lang erwarteten Wahlen. Die politische Adventszeit mit ihrer besinnlichen Vorwahlstimmung ist nun vorbei, und die Lichter des Festes und die Kinderaugen leuchten. Die SVP bekommt ihre Zehn-Milliardären-Schweiz; der Mittelstand, einst sogar im Logo der SVP erwähnt, wählt durchgehend SP – und die Grünen büssen dafür, dass Deutschland und die Schweiz in den sozialen Medien zusammengewachsen sind und so viele verampelregierte Deutsche in Schweizer Telegram-Gruppen Hass und Hetze gegen die deutschen Grünen verbreiten. Im brummenden Kopf der Schweizer Wähler:in vermischen sich da Robert Habeck und Annalena Baerbock mit Balthasar Glättli und Aline Trede zu einem einzigen grenzüberschreitenden hypergrünen Spinatauflauf, der «in die Grünabfuhr» gehöre.
Dabei hatten die verhassten deutschen Grünen bei mir im Gegensatz zur SPD immer Sympathien, denn sie zeigten als einzige Partei (wahrscheinlich der Welt) schonungslos auf, wo die Politik der Zukunft hockt: beim Unangenehmen, beim demokratisch kaum noch Herbeizuführenden. Beim Verzicht, beim Rückbau, bei der klaren Ansage, was wir sofort tun müssen, um noch weiter leben zu können (inkl. Ukraine-Unterstützung). Die Grünen verzichteten damit naturgemäss auf Populismus und so auch auf ihre Wiederwählbarkeit. Ausgerechnet sie sind quasi eine Wegwerfpartei, die nur einmal benutzt werden kann. Sie können nicht alle vier Jahre recycelt wieder antreten wie die SVP. Weil es bei Grün nicht um das eigene individuelle Portemonnaie geht wie bei den Bürgerlichen und der sozialen Linken, sondern vor allem um unser Ausserhalbes (was natürlich auch das Portemonnaie betrifft, aber das leere unserer Kinder und Kindeskinder).
Die Deutschen wollen keine Ampel mehr. Sie wollen lieber blau weiterfahren. Und Roberto Cirillo will keine Briefe mehr. Cirillo ist nicht etwa ein Staatsverweigerer, der keine Einschreiben der Steuerbehörden mehr erhalten will, sondern der Chef der Schweizer Post. Der papierene Brief soll digital werden, und alle Menschen in der Schweiz müssen demnächst einen obligatorischen elektronischen Briefkasten haben. Damit die Kosten der rückläufigen Briefpost sinken.
Die Post ohne Briefe, ha! Da könnte ja jeder kommen. Die Swisscom schafft den Telefonanruf ab. Die SBB wollen keine Züge mehr. Der Zug wurde von McKinsey als teuerster und aufwendigster Teil der SBB erkannt. Der Zug zieht einen ganzen Rattenschwanz immenser Kostenfaktoren hinter sich her: den Speisewagen, die Verspätungsentschädigungen, Sitze, Fenster, Türen, die nicht funktionierende Neigemechanik, Schmutz, Rost, Lärm, brechende Achsen, laut telefonierende Nationalrät:innen, zitternde Wagenkästen, ganze Berufsgruppen und Rangierbahnhöfe. Auch der Zug soll durch irgendetwas Digitales ersetzt werden, aber man weiss noch nicht, durch was.
Noch besser als die SBB ist der Frecciarossa, der einen in viereinhalb Stunden von Napoli nach Milano bringt, und das relativ analog (Schiene/Rad). Doch man bekommt kaum noch Plätze! Sechzig-Millionen-Italien! Alles ist voll. Sei es im Restaurant oder im Kolosseum. Gerade als Familie, mit schulpflichtigen Kindern an die Hauptreisezeit gebunden, kann man kaum noch verreisen, ohne vorher tagelang am Handy alle Reservationen der zu besichtigenden Museen, Pyramiden und Triumphbögen zu erledigen, Zeitfenster zu besetzen, Vorauszahlungen zu leisten, Annulationsklauseln zu studieren. Die einstige Wartezeit in der Warteschlange leistet man nun einfach zu Hause mit Buchungsärger, Passwortänderungen und anschliessenden Hotlinetelefonaten ab.
Und das alles noch ohne elektronischen Briefkasten! Verzicht und Rückbau auch hier: Statt Roma und Napoli tuns auch Fällanden, Köniz oder Emmenbrücke. Da hats noch reservationsfreie Plätze in den Cafés!
Ruedi Widmer zeichnet oft im Zug; am besten gelingen seine verwackelten Bilder in den SBB.