Rüstungskontrolle: «Antimilitarismus ist Kriegsprävention»
Die GSoA will den Bundesrat dazu bringen, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen. Sekretärin Anja Gada sagt, warum es gerade jetzt eine Debatte über nukleare Abrüstung braucht.
WOZ: Anja Gada, die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) hat eine Initiative angekündigt. Diese will den Bundesrat dazu verpflichten, den Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) zu unterzeichnen. Warum jetzt?
Anja Gada: Die nukleare Bedrohung hat nochmals zugenommen, seit Russland die Ukraine angegriffen hat, die Atommächte rüsten auf. Das ist gefährlich. Der TPNW ist das wichtigste Abkommen zur Rüstungskontrolle, das uns bleibt. Er erklärt Atomwaffen für illegal, verbietet unter anderem die Entwicklung, Herstellung, Lagerung oder das Testen. Es ist eigentlich absurd: Die Schweiz hat den Vertrag mit ausgearbeitet, sie war von Anfang an mit dabei. Doch der Bundesrat weigert sich seit Jahren, ihn zu unterzeichnen. Deshalb sagten wir uns: Jetzt nehmen wir die Sache selber in die Hand; wenn der Bundesrat sich drückt und sich den Druckversuchen der Nato beugt, müssen wir ihn per Initiative dazu bringen, den Vertrag zu ratifizieren. Die Schweiz muss sich für nukleare Abrüstung einsetzen.
Der Bundesrat hat sein Zögern immer wieder damit begründet, dass der Zeitpunkt der falsche sei. Lässt sich vor dem Hintergrund des Kriegs gegen die Ukraine und jetzt des Kriegs im Nahen Osten überhaupt eine Diskussion über Abrüstung führen?
Gerade jetzt ist eine Diskussion wichtig. Die Schweiz darf nicht einfach in den internationalen Kanon einstimmen und auf Kriege mit der Forderung nach Aufrüstung reagieren, wie es die Bürgerlichen immer tun. Sie muss sich auf ihre humanitäre Tradition besinnen. Antimilitarismus ist schliesslich auch Kriegspräventionsarbeit und Friedenspolitik. Aber ja, es sind schwierige Zeiten. Jeder internationale Konflikt wird für innenpolitische Rüstungsdebatten instrumentalisiert.
Können Sie ein Beispiel für diese Instrumentalisierung nennen?
Die FDP forderte wenige Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine die Stärkung der Schweizer Armee, obwohl kein einziger sicherheitspolitischer Bericht von einer erhöhten Gefahr eines kriegerischen Szenarios für die Schweiz ausgeht. Auf den Krieg im Nahen Osten wird nun mit der Forderung nach mehr Terrorbekämpfung reagiert.
Wie reihen sich diese Forderungen in die nationale Rüstungsdebatte ein?
2022 wurde der F-35-Kampfjet trotz unserer laufenden Volksinitiative beschafft, und es war ein Rekordjahr im Kriegsmaterialexport. Allein in den letzten zwei Jahren gab es sieben Vorstösse, das Kriegsmaterialgesetz zu lockern – gerade diese Woche hat sich die nationalrätliche Sicherheitskommission für eine Lockerung ausgesprochen. Der Armeebestand ist zu gross, das ist ein illegaler Zustand, aber anstatt dass er verkleinert wird, will das Verteidigungsdepartement einfach die Regeln anpassen. Und auch noch das Armeebudget bis in zehn Jahren verdoppeln. Dann wären wir auf Platz fünf der Pro-Kopf-Ausgaben für die Armee – weltweit. Dabei ist es schon beispiellos, was in den letzten zwei Jahren in der Schweiz für die Armee an Geld gesprochen wurde, in welche Abhängigkeiten wir uns sicherheitspolitisch begeben, ohne auch nur einmal darüber zu reden. Das Desaster und die Kostenexplosion beim F-35-Programm der USA ist nur ein Beispiel, die diskussionslose Beteiligung am europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield ein zweites. Der Widerstand von bürgerlicher Seite gegen Abrüstung ist riesig.
Die GSoA wollte Mitte Oktober eine Friedensdemonstration in Zürich organisieren, dieser wurde kurzfristig die Bewilligung entzogen – wegen Sicherheitsbedenken.
Dieser Entscheid ist verfassungswidrig, wir werden ihn auf juristischem Weg anfechten. Es kann nicht sein, dass man in einer Demokratie bei schwierigen Themen einfach sagt: Ihr dürft euch nicht versammeln und eure Meinung kundtun. Wir wären für humanitäres Völkerrecht und Menschenrecht auf die Strasse gegangen. Dass man das nicht mehr kann, darf nicht zum «courant normal» werden. Es ist wichtig zu sagen: Wir nehmen das nicht hin, wir nehmen auch den Diskurs, wie er geführt wird, nicht hin, wir machen eine gemeinsame Kundgebung, an der wir für eine Lösung einstehen, für einen gerechten Frieden, in dem es um Menschen geht, um das Einstehen für die Schutzlosesten. Wichtig ist auch, immer wieder mit dem Finger auf Brüche des humanitären Völkerrechts und Menschenrechtsverletzungen zu zeigen und zu sagen: Das ist nicht okay. Das an einer Kundgebung ausdrücken zu können, ist zentral, es geht ja um eine friedliche Zukunft für uns alle.
Sie haben die Friedenspolitik der Schweiz angesprochen. Wie sollte diese aussehen?
Die Rechte hat es nach der russischen Invasion in die Ukraine leider gut geschafft, die Diskussion auf Waffenlieferungen zu beschränken und von Rohstoffhandel, Oligarchengeldern oder Forderungen nach einer Wiederaufnahme des Botschaftsasyls abzulenken. Weder spricht man genügend Geld für humanitäre Hilfe, noch leisten wir militärisch einen Beitrag, noch treffen wir wirtschaftliche Massnahmen – ausser dass wir löchrige Sanktionen mittragen. Stattdessen reden wir über ein paar ausgemusterte Panzer und 15 000 Schuss Munition, die in offenem Gefecht in fünfzehn Minuten weg sind. Das ist schäbig. Es gibt viel bessere Hebel.
Welche sind das?
Ich sehe militärische Neutralität als friedenspolitisches Mittel, um sich aktiv für das Völkerrecht einzusetzen. Ich weiss, das klingt nach einer leeren Forderung, aber die «Guten Dienste» aktiver einzubringen, wäre relevant, gerade im Nahen Osten. Ich glaube auch, dass die Schweiz ein Beispiel sein könnte für verantwortungsvolle Standortpolitik: dass wir aufhören, unseren Wohlstand davon abhängig zu machen, dass wir autoritäre Regimes unterstützen. Und statt sich eine Armee von 150 000 Soldaten zu leisten, könnte man die humanitäre Hilfe ausbauen. Denken wir an die Erdbeben in der Türkei: Mit unserem Know-how hätten wir nicht nur Dutzende, sondern Tausende Menschen schicken können, die Hilfe leisten. Das würde zum Frieden in der Region beitragen. Und auch zu unserem Frieden.
Zurück zum Atomwaffenverbotsvertrag: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die Schweiz den TPNW doch noch unterzeichnet?
Das Ziel ist, eine breite Debatte darüber zu lancieren, dass Abrüstung ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist. Dass «Sicherheit» nicht «Armee» bedeutet, sondern nukleare Abrüstung, Klimaschutz, Konzernverantwortung. Die Frage muss doch sein, was für eine Schweiz wir haben wollen. Ich will nicht in einem Land leben, das bis an die Zähne bewaffnet die Grenzen hochzieht und hintenrum Geschäfte mit Regierungen macht, die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken. Das stelle ich mir schrecklich vor, und es scheint darauf hinauszulaufen. Dabei müsste die Schweiz auf eine Welt hinarbeiten, die atomwaffenfrei ist, das sollte das Ziel sein. Daneben müssen wir die Kriegsmaterialgesetzgebung verschärfen und die Produktion militärischer Güter in der Schweiz stoppen. Viele Menschen sind für den Frieden, haben aber das Gefühl, es sei kompliziert, dafür zu kämpfen, man sei naiv, die Forderungen unkonkret, es sei nicht möglich, global abzurüsten. Dabei wissen wir, dass das nicht stimmt: Ein prominentes Beispiel ist die Konvention gegen Streumunition, die 2010 in Kraft getreten ist. So legen wir Bausteine für eine friedlichere Zukunft.
Anja Gada (21) ist Sekretärin der GSoA. Sie hat zuvor bei der SP Zürich gearbeitet und ist seit mehreren Jahren beim Klimastreik aktiv.