Auf allen Kanälen: Selfies mit der Hamas

Nr. 47 –

Warum die Sache mit den «Hamas-Reportern» komplizierter ist und es gefährlich ist, Journalisten voreilig mit Terroristen gleichzusetzen.

stilisiertes Foto: Gläser mit Tee auf einem Tisch

Ein Gefühl der Angst und des Unwohlseins überkam mich, als ich den Kommentar des ehemaligen Uno-Botschafters Israels, Danny Danon, auf X las: Man werde jeden, der sich am Massaker des 7. Oktobers beteiligt habe, eliminieren, schrieb er – einschliesslich «der Fotojournalisten». Danon bezog sich auf einen Beitrag des israelisch-amerikanischen Blogs «Honest Reporting» vom 8. November, der jenes Bild enthielt, das seither um die Welt ging: ein Selfie des Fotografen Hassan Eslaiah mit dem Hamas-Führer Jahja Sinwar aus dem Jahr 2020.

Neben Eslaiah rückte der Blog noch fünf weitere Fotografen, die für internationale Medienhäuser und -agenturen aus dem Gazastreifen berichteten, in die Nähe der terroristischen Hamas. Im Text wird suggeriert, sie alle seien nicht zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, sondern im Vorfeld von den Tätern über den geplanten Ablauf der Massaker informiert worden. Zum selben Zeitpunkt beklagten praktisch alle Journalist:innenorganisationen der Welt den Umstand, dass dieser Krieg zu den für Medienschaffende tödlichsten Konflikten seit Jahren gehört. Innerhalb von gut vier Wochen wurden 42 Journalist:innen, unter ihnen vor allem Palästinenser:innen, getötet. Die meisten Opfer kamen durch Angriffe des israelischen Militärs ums Leben.

Tee trinken mit den Taliban

Ich berichte seit einem Jahrzehnt aus einer Region, die von Extremisten und Terroristen kontrolliert wird. Die Taliban, die seit August 2021 wieder ganz Afghanistan regieren, verübten in Kabul und anderswo brutale Anschläge, die Tausende von Afghan:innen das Leben kosteten. Schon lange vor ihrer Rückkehr reiste ich regelmässig in ihre Gebiete, und natürlich ging das meist nur, wenn man sich im Vorfeld in irgendeiner Form mit ihnen absprach. Ich trank Tee und speiste mit schwer bewaffneten Talibankämpfern, musste oft genug auch «mitspielen», lächeln und schlucken. Stift, Notizblock und Kamera können im Ernstfall gegen eine Kalaschnikow nichts ausrichten.

Das bedeutet noch lange nicht, dass man sich mit deren Sache gemeinmacht. Das taten die meisten afghanischen Journalisten, die ich kenne, nicht – und wahrscheinlich tun es auch palästinensische Journalisten nicht. Die «New York Times» hat ihren Fotografen explizit gegen die «unwahren und abscheulichen Vorwürfe» verteidigt, und auch die FAZ schreibt: «Der Verdacht, dass palästinensische Fotografen der Hamas nahestehen, lässt sich nicht mit ein paar Selfies belegen.» Deutlich zurückhaltender reagierten Reuters und AP, stellten indes klar, dass die Fotografen nicht vor Ort «lauerten», sondern erste Aufnahmen erst rund eine Stunde nach dem Hamas-Angriff entstanden seien.

Aber Kuscheln mit Terroristen?

Natürlich lassen sich manche Journalist:innen und ihre Praktiken hinterfragen. Das gilt sowohl für den in diesen Tagen verbreiteten «embedded journalism», die Zusammenarbeit von Medienvertreter:innen und Militärs, als auch für ungewohnt nahe Verhältnisse zwischen Journalist:innen und Terrorgruppen. Persönlich hielt ich nicht nur zu den Taliban eine kritische Distanz, sondern auch zur Armee der afghanischen Republik, zur Kabuler Regierung oder zu den brutalen CIA-Milizen. Sie alle waren nicht dafür bekannt, freundlich mit Medienschaffenden umzugehen. Afghanistan gehörte lange zu den tödlichsten Ländern für Journalist:innen.

Auf die Idee, mit irgendeinem Talibankommandanten (oder anderen fragwürdigen Warlords und Politikern) ein nettes Selfie zu machen, wäre ich allerdings nicht einmal im Traum gekommen.

Nun kann es sein, dass, ähnlich wie im afghanischen Kulturkreis, Sinwar aus irgendeiner Laune heraus Eslaiah umarmt hat und sich der Journalist dem nicht entziehen konnte. Wie denn auch? Die Hamas regiert in Gaza totalitär, und viele Menschen sind ihr ausgeliefert. Als lokaler Journalist, der nicht einfach das Land verlassen kann, ist es meist schwierig, es sich mit solchen Leuten zu verscherzen. Die Folgen könnten Drohungen, Folter, Mord oder eine Kollektivbestrafung für die gesamte Familie sein.

In einem aktuellen Interview mit der «Welt» hat Eslaiah betont, er habe das Selfie mit dem Hamas-Führer nur veröffentlicht, «um die Authentizität meiner journalistischen Berichte über die Geschehnisse innerhalb der Bewegung zu beweisen und um meine journalistische Arbeit zu verbreiten». Dafür muss man sich allerdings gewiss nicht in die Arme eines Terrorführers legen.