Auf allen Kanälen: Worte aus dem Kreml

Nr. 48 –

Wie unabhängig berichten Lateinamerikas Medien über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten?

stilisiertes Logo des ecuadorianischen Onlinemedium «Pressenza»

Anfang November behauptete das US-Aussenministerium, eine vermeintliche Operation des Kreml aufgedeckt zu haben, die darauf abgezielt haben soll, in Lateinamerika gezielt Desinformation zu verbreiten. Moskau versuche, «das lateinamerikanische Publikum davon zu überzeugen, dass der russische Krieg gegen die Ukraine gerechtfertigt ist», so das Pressecommuniqué. Laut den USA verfassten russische Agenturen Beiträge, die über offiziell unabhängige Lokalmedien verbreitet wurden. Verantwortlich dafür seien vier Journalist:innen und zwei namentlich genannte linke Medien. Beweise wurden nicht geliefert, auch nicht auf Anfrage. Die beiden genannten Redaktionen bestritten die Anschuldigungen vehement.

Ein kurzer Blick auf die Seiten der beiden Medien genügt jedoch, um sich davon zu überzeugen, dass die Vorwürfe nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Das ecuadorianische Onlinemedium «Pressenza» interviewte zum Beispiel im Februar 2022, drei Wochen vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, den chilenisch-ukrainischen Journalisten Oleg Yasinsky, von dem die USA behaupten, er stehe im Sold des Kreml. Yasinsky betonte, dass einzig die US-amerikanische Propaganda versuche, beide Länder gegeneinander aufzubringen. Das chilenische Medium «El Ciudadano» wiederum übernahm mehrfach Beiträge des russischen Propagandasenders «Russia Today», zuletzt die Darstellung der Position Moskaus im aktuellen Gazakrieg.

Perfide Propaganda?

Diese Medien stehen jedoch nicht allein. In der lateinamerikanischen linken Presselandschaft ist oft von einem angeblich «faschistischen Regime» in der Ukraine die Rede oder von einer vermeintlichen Aggression durch die Nato, um den Krieg in der Ukraine zu rechtfertigen. Alles Resultat einer perfiden Propagandaaktion des Kreml? Die Realität ist deutlich komplexer.

In vielen lateinamerikanischen Ländern gab es in den vergangenen Jahren grosse Protestbewegungen wie auch drastische Repression seitens des Staats. Während traditionelle Medien die Proteste als reinen Vandalismus darstellten und behördliche Gewalt rechtfertigten, berichteten die genannten Medien früh über die Hintergründe der Bewegungen und prangerten die Repression an. Josefa Barraza zum Beispiel, Journalistin von «El Ciudadano», recherchierte jahrelang hartnäckig zur Verfolgung von Demonstrant:innen durch den chilenischen Staat und belegte, dass viele Vandalenakte von infiltrierten Polizist:innen ausgingen. Das machte diese Medien für ein kritisches Publikum glaubwürdig.

Zudem haben historisch US-amerikanische Militärinterventionen in Lateinamerika und die Unterstützung von Staatsstreichen viel Misstrauen gegenüber dem selbsternannten «Hüter der Demokratie» geschürt. Um Putsche vorzubereiten und zu rechtfertigen, finanzierten auch die USA lokale Zeitungshäuser. Die Sowjetunion hingegen unterstützte Befreiungsbewegungen, Widerstandsgruppen und linksrevolutionäre Regierungen. Dass das heutige Russland nicht mehr die Sowjetunion ist und Anrainerstaaten Russlands ein ähnliches Verhältnis zu Moskau haben wie Lateinamerika zu den USA, wird derweil ignoriert.

Das Geld fehlt

Die mangelnde Unabhängigkeit der Medien hängt aber auch mit der wirtschaftlichen Prekarität der lateinamerikanischen Presselandschaft zusammen. Werbung ist häufig die einzige Einnahmequelle. Abomodelle funktionieren, wenn überhaupt, nur bei einer kleinen, oberen Mittelschicht. Linke Zeitungsprojekte finanzierten sich bis zum Ende des 20. Jahrhunderts durch Spenden aus Europa. Heute können die meisten kaum einen Lohn zahlen, sondern beruhen – sofern es sie noch gibt – allein auf dem Idealismus der Redaktionsmitglieder.

Daher lassen sich viele Zeitungen von politischen und wirtschaftlichen Akteuren zumindest teilweise finanzieren oder werden direkt von ihnen aufgekauft. Eines der grössten chilenischen Radios veröffentlicht etwa seit mehreren Jahren unter der Kategorie «Efecto China» Beiträge über die Aussen-, Wirtschafts- und Kulturpolitik Chinas, verfasst von der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Für eine wirklich unabhängige Presse bräuchte es dagegen Finanzierungsmodelle, die unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessen funktionieren. Vielleicht wären europäische Solifonds wieder angebracht.