Sonntagsverkauf: Salami am Sonntag
Sich in einer Menschenmasse aufzuhalten, hilft gegen das Gefühl der Atomisierung. Offenbar auch dann, wenn es sich bloss um eine Warteschlange im H&M handelt. Die weihnachtlichen Sonntagsverkäufe scheinen jedenfalls ein Bedürfnis zu erfüllen.
Gut zu wissen, dass der Bundesrat dieses ernst nimmt. Vergangene Woche eröffnete er die Vernehmlassung für den Vorschlag, in den grössten Schweizer Städten sogenannte Tourismuszonen einzurichten. Dort soll der Sonntagsverkauf das ganze Jahr über möglich sein. Allerdings schlägt er skurrilerweise vor, nur den Verkauf von Luxusgütern und Souvenirs zu erlauben (es gehe um Tourist:innen).
Die Idee kommt bei niemandem gut an. «So nicht!», fand die Swiss Retail Federation, der Verband des Detailhandels. Wenn schon, dann solle man alles verkaufen dürfen. Von einer «klassischen Salamitaktik» spricht dagegen Adrian Wüthrich vom Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse gegenüber dem «Blick». Der Bundesrat wolle «den arbeitsfreien Sonntag eine Scheibe mehr infrage stellen».
Ebenfalls auf die Barrikaden geht die Sonntagsallianz. Auch sie will die Arbeiter:innen schützen. Nicht unerheblich für ihr starkes Engagement dürfte sein, dass sie zum grössten Teil von christlichen Organisationen getragen wird. Wer will denn noch in die Kirche, wenn man stattdessen auch zu Louis Vuitton kann? Andererseits sind das auch ohne Sonntagsverkauf nicht mehr besonders viele.
Der Sonntag hat in unserer Gesellschaft seine religiöse Bedeutung verloren. Wofür er sonst noch steht, ist längst nicht mehr klar. Für viele Arbeiter:innen, gerade im Tieflohnsektor, ist er sowieso schon ein Arbeitstag.
Natürlich ist es stossend, dass Angestellte im Detailhandel auch am Sonntag arbeiten sollen. Ihre Arbeitsbedingungen sind ohnehin schon miserabel. Am Sonntag ist in der Regel immerhin der Lohn weniger schlecht. Das Geschäft scheint sich trotzdem weiterhin zu lohnen.
Darüber müssen wir doch reden. Nicht über die fetischisierte Bedeutung des Ruhetags, sondern über die Arbeitsbedingungen an allen Tagen. Damit irgendwann jeder Tag ein Sonntag ist.