Israel und Palästina: Für den anderen Weg

Nr. 49 –

Israelische Bomben auf Gaza, Hamas-Raketen auf Israel: Seit bald einer Woche ist die brüchige Feuerpause vorbei. Sieben Tage währte sie, immerhin, sieben Tage, in denen Geiseln und Gefangene freikamen, die neben Verzweiflung und Hass gar so etwas wie Hoffnung zuliessen. Sieben Tage aber auch, in denen die Zerstörung in Gazas Norden sichtbar wurde: wo eben noch Häuser standen, bloss Schutt und Asche. Wo eben noch Leben war, Tausende Tote.

Seit Freitag sprechen wieder die Waffen, der Krieg zwischen Israel und der Hamas, er geht unvermindert, gar noch heftiger weiter. Die Folgen für die Schutzlosen in Gaza könnten verheerender nicht sein, ihr Leid lässt sich trotz aller Versuche nur unzureichend in Worte fassen. Verheerungen hinterlässt der Schmerz auch bei den Menschen in Israel, die um verschleppte Familienmitglieder bangen, sich vor den Geschossen der Islamisten verstecken – und jene betrauern, die die Hamas bei ihrem Pogrom massakrierte.

Wie sich Israels Armee die «zweite Phase» des Krieges vorstellt, hat sie auf einer Karte skizziert: der Gazastreifen, unterteilt in ein Gitter aus Hunderten Zonen, von denen die einen wegen der Kämpfe evakuiert werden, andere als Zuflucht dienen sollen. Ein irrwitziger Plan, der weitere zivile Opfer mit einkalkuliert. Noch im Oktober hatte das Militär die Menschen im Norden zur Flucht in den «sicheren» Süden aufgefordert.

Dass bei einem Land, das sich als Demokratie begreift, der völkerrechtliche Massstab höher angelegt wird als bei einer Terrorgruppe, deren Methode Eskalation ist, ist richtig. Das Kalkül der Hamas ist ein nihilistisches: Je mehr die Menschen in Gaza die Hoffnung verlieren, je mehr Palästinenser:innen in der Westbank von radikalen Siedler:innen vertrieben werden, in Israel unter Repression leiden, desto mehr werden sie in die Arme der Terroristen getrieben. Indem die israelische Regierung bloss auf blinde Vergeltung setzt, leistet sie dieser fatalen Wette Vorschub. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Versuch, die Hamas militärisch zu schlagen, bloss zu deren Stärkung führt.

Hunderttausende Binnenvertriebene harren inzwischen im südlichen Teil von Gaza aus – und werden dort von Israels Artillerie beschossen. Dazwischen Tausende Hamas-Kämpfer, die Zivilist:innen zum eigenen Schutz missbrauchen und an ihrem antisemitischen Vernichtungsziel festhalten. Der Albtraum, den Palästinenser:innen und Israelis aufs Neue durchleben: Er scheint kein Ende nehmen zu können. Ein gewaltvoller Kreislauf aber lässt sich, so die eigentlich simple Einsicht, nicht durch noch mehr Gewalt durchbrechen.

Die Not lindern kann nur ein Schweigen der Waffen, nur eine vollständige Rückkehr der Geiseln, dafür gehen in Israel schon seit Wochen Leute auf die Strasse. Eine politische Lösung aber ist das noch nicht – die ist weder mit der Hamas noch mit Israels rechtsradikaler Regierung zu haben. Besonders düster formulierte die Aussichten kürzlich der Philosoph Omri Boehm: «Die Logik der Entmenschlichung kennt bloss ein Ziel: Es wird nur ein Volk bleiben. Die einen oder die anderen. Diese Logik ist Teil der Logik eines totalen Krieges; nicht eines Krieges, an dessen Ende die beiden Beteiligten irgendwie Frieden schliessen müssen, sondern eines Krieges, in dem nur eine Seite überleben wird.»

Diese Logik zu durchbrechen – daran wird kein Weg vorbeiführen. Ohne die Freiheit der Palästinenser:innen wird es für Jüd:innen in Israel keine Sicherheit geben. Das kleine Stück Land, eingepfercht zwischen Meer und Wüste, es kann nur für beide zugleich ein Zuhause sein – die Geschicke aller Bewohner:innen sind durch die Geschichte untrennbar miteinander verbunden.

In Israel sind jene, die sich der mörderischen Polarisierung entziehen, zuletzt immer einsamer geworden. Doch auch wenn sie seit dem 7. Oktober selbst zwischen Trauer und Entsetzen verharren: Verstummt sind die progressiven Stimmen nicht. Diese Woche touren Vertreter:innen der linken jüdisch-palästinensischen Bewegung Omdim Beyachad (Standing Together) durch Europa, um ihre Gedanken für westliche Genoss:innen hörbar zu machen. «Es gibt einen anderen Weg», sagen sie ihnen. Das Mindeste wäre, sie auf diesem humanistisch-solidarischen Weg zu begleiten.