Durch den Monat mit Aarusza Ramachandran (Teil 1): Wann haben Sie zum ersten Mal vom «Black July» gehört?
Vor vierzig Jahren flüchteten erstmals Tausende Tamil:innen in die Schweiz. Aarusza Ramachandran wurde in der Schweiz geboren und gehört zur zweiten Generation der Diaspora.
WOZ: Aarusza Ramachandran, Sie haben Anfang Dezember den Anlass «40 Years: Tamil Diaspora Switzerland» mitorganisiert. Dabei wurde im Berner «Haus der Religionen» die Geschichte der Tamil:innen in der Schweiz reflektiert. Wie blicken Sie darauf zurück?
Aarusza Ramachandran: Am Tag der Veranstaltung war ich emotional sehr angespannt, denn verschiedene schwierige Themen wie zum Beispiel die Fluchtgeschichte unserer Eltern wurden diskutiert. Themen also, die auch Traumata von früher hervorholen können. Diese Anspannung hat sich im Lauf des Tages aber gelöst, da ich einen Raum hatte, um mich mit anderen auszutauschen. Ich merkte, wir in der Diaspora fühlen alle das Gleiche. Die Atmosphäre an diesem Tag spüre ich bis heute. Für die tamilische Gemeinschaft wurde ein Verarbeitungsprozess der Fluchterfahrung und des Lebens in der Schweiz angestossen. Das war schon lange überfällig.
Weshalb sind vor vierzig Jahren so viele Tamil:innen in die Schweiz geflüchtet?
Im Juli 1983, dem «Black July», fanden in Sri Lanka die bis anhin grössten Pogrome gegen die tamilische Bevölkerung statt. Aufgrund dieser Ereignisse und des daraufhin ausgebrochenen Krieges mussten Hunderttausende Tamil:innen aus der Heimat fliehen.
Wann haben Sie erstmals davon gehört?
Ich kannte den Begriff «Black July» seit meiner Kindheit, konnte mir aber nichts darunter vorstellen. Erst als Studentin begann ich, mich dann selbst mit der tamilischen Geschichte zu beschäftigen. Was ich persönlich intensiver miterlebt habe, sind die letzten Jahre des Bürgerkriegs. Als dieser 2009 endete, war ich dreizehn Jahre alt.
Wie haben Sie von hier aus der Ferne diese letzten Kriegsjahre mitbekommen?
Die meisten Verwandten meiner Eltern leben noch in Sri Lanka. Sie haben den Krieg hautnah miterlebt – und diese Zeit war auch für unsere Familie hier sehr intensiv. Wir haben versucht, den Kontakt zur Verwandtschaft aufrechtzuerhalten, aber das war schwierig. Viele meiner Verwandten mussten innerhalb Sri Lankas immer wieder fliehen. So auch meine Grosseltern mütterlicherseits, die während der Flucht gestorben sind.
Sie waren damals sehr jung, fast noch ein Kind.
Ja, ich habe nur einzelne Erinnerungsfetzen aus dieser Zeit. Ein Moment aber ist mir emotional sehr geblieben: Während des Krieges gab es eine Art Zwangsrekrutierung. Sobald man achtzehn Jahre alt war, musste man mitkämpfen. Auch einige meiner Cousins mussten Militärdienst leisten. Eines Tages hat jemand bei uns zu Hause angerufen und mich informiert, dass meine Cousine verstorben sei. Diese Nachricht musste ich dann meiner Mutter überbringen. Bei jedem weiteren Anruf hatte ich von da an Angst. Ich machte mir Gedanken: Was ist mit den anderen? Das waren sehr komplexe und schwierige Gefühle, die mir bis heute geblieben sind. Die Veranstaltung in Bern war das erste Treffen, an dem ich diese Erinnerungen reflektieren und mich mit anderen austauschen konnte.
Sie erwähnten, dass an diesem Anlass auch die Fluchtgeschichte der ersten Generation Thema war. Was ist die Geschichte Ihrer Eltern?
Mein Vater ist aus dem Norden Sri Lankas zuerst in die Hauptstadt Colombo und von dort mit der Hilfe von Schleppern nach Europa geflohen. 1989 kam er dann in die Schweiz und hat zuerst in einem Restaurant gearbeitet. Ich bin mir nicht sicher, wie das alles genau abgelaufen ist. Meine Eltern haben mir ihre Fluchtgeschichte noch nie direkt erzählt, die Geschichte meines Vaters kenne ich über seine Schwester.
Und wie kam Ihre Mutter in die Schweiz?
Die Ehe meiner Eltern war arrangiert. Meine Mutter wurde drei Jahre nach meinem Vater in die Schweiz nachgeholt. Dort lebte sie zuerst in Clarens am Genfersee und konnte dann einige Monate später zu meinem Vater in den Aargau ziehen. Heute ist sie Hauswirtschaftsmitarbeiterin und interkulturelle Dolmetscherin beim Heks.
Weshalb haben Ihre Eltern nie mit Ihnen direkt über ihre Fluchtgeschichte gesprochen?
Vermutlich wollen sie uns Kindern diese Last nicht mitgeben. Sie wissen, dass uns die Geschichte mitnehmen würde, und wollen uns nicht zusätzlich belasten. Die Fluchtgeschichte wird in vielen Familien nicht direkt weitererzählt. Ich bin sicher, da spreche ich von der gesamten Diaspora.
Rund 11 000 Tamil:innen der ersten Generation gehen nun in Rente oder sind bereits pensioniert. Wie sehen die Pläne Ihrer Eltern aus?
Früher haben sie gesagt, dass sie in zehn Jahren sicherlich nach Sri Lanka zurückgehen würden. Aber weder wir Kinder noch unsere Eltern können sich vorstellen, das ganze Jahr getrennt zu leben. Ich glaube eher, dass sie zwischen der Schweiz und Sri Lanka pendeln werden. In unseren Ferien bei der Verwandtschaft in Sri Lanka stellte ich fest, dass meine Eltern an dem Ort, wo sie geboren und aufgewachsen sind, aufblühen. Deswegen würde ich es ihnen sehr gönnen, einen Teil ihres Lebens wieder in Sri Lanka verbringen zu können.
Aarusza Ramachandran (28) hat Erziehungswissenschaften und Psychologie im Master studiert. Sie arbeitet als Juniorprojektleiterin und Managementassistentin in der Bildungsberatung und als interkulturelle Dolmetscherin beim Hilfswerk Heks. Sie lebt in Brugg.