Durch den Monat mit Aarusza Ramachandran (Teil 3) : Welche Bedeutung hat Bildung in der tamilischen Diaspora?
Weshalb Aarusza Ramachandran den Begriff «Bildungsaufstieg» kritisch sieht. Und welche Rolle ihre schweizerisch-tamilische Identität in ihrer Arbeit als Juniorprojektleiterin im Bildungsumfeld spielt.

WOZ: Aarusza Ramachandran, letzte Woche erzählten Sie, wie viel Ihnen Ihre Eltern von der tamilischen Kultur weitergegeben haben. Im Schweizer Bildungssystem jedoch waren Sie vermutlich auf sich allein gestellt …
Aarusza Ramachandran: Ja, meine Eltern kannten das Schweizer Schulsystem schlecht und hatten in den ersten Jahren Mühe mit der Sprache. Ihnen war es aber wichtig, dass sich das nicht negativ auf mich auswirkt. So haben sie mich in die Nachhilfe geschickt – wo mir dann aber gesagt wurde, dass ich eigentlich gar keine nötig hätte. Bei meiner jüngeren Schwester sah es schon besser aus: Als sie zur Schule ging, beherrschten unsere Eltern die deutsche Sprache und kannten das Schulsystem besser – und auch ich konnte sie unterstützen.
Als Kind aus einem nichtakademischen Elternhaus haben Sie Erziehungswissenschaften und Psychologie studiert. Was für eine Bedeutung hat dieser Bildungsaufstieg für Sie?
Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Es ist mir wichtig zu sagen: In Sri Lanka wäre meine Mutter als Lehrerin tätig gewesen – hätte sie die Chance gehabt, zu bleiben. Auch mein Vater hatte den Plan, zu studieren. In meiner Verwandtschaft in Sri Lanka haben die meisten eine akademische Ausbildung absolviert. Der Begriff des «Aufstiegs» ist für mich von daher schwierig: Faktisch ist es zwar so, dass meine Eltern in der Schweiz keine Akademiker sind – aber vielleicht wären sie es geworden, wenn sie nicht zur Flucht gezwungen gewesen wären.
Sie finden also, dass in der Betonung Ihres «Bildungsaufstiegs» auch eine Herabstufung Ihrer Eltern mitschwingt?
Ja, auf jeden Fall. Ich empfinde es als Abwertung des Werdegangs und der bisher erreichten Ziele meiner Familie, wenn hervorgehoben wird, wie erfolgreich ich als Frau mit Migrationshintergrund doch sei. Ich sehe die Abwertung darin, dass ihnen nicht zugetraut wird, eine akademische Laufbahn eingeschlagen zu haben. Natürlich schätze ich es auch sehr, dass ich meinen Wunschbildungsweg gehen konnte. Ich bin auch sehr dankbar für die Unterstützung, die ich von meinen Eltern erhalten habe – dafür haben sie vieles aufgegeben. Dankbar bin ich auch der tamilischen Gemeinschaft, die mir gezeigt hat, wie wichtig Bildung ist: Materielles kannst du verlieren – aber Bildung kann dir niemand nehmen.
Was für eine Bedeutung hat Bildung hierzulande in der tamilischen Gemeinschaft?
Meine Eltern haben mir schon früh indirekt mitgeteilt, dass ich als tamilische Frau härter als ein weisser Mann arbeiten müsse, um in der hiesigen Gesellschaft das Gleiche zu erreichen. Dabei spielt Bildung eine entscheidende Rolle. Ein Spruch meiner Eltern lautete: «Dann landest du nicht wie wir in der Küche.» Bereits in früherer Zeit in Sri Lanka war Bildung für Tamil:innen sehr wichtig.
Wie steht es denn um die Bildungssituation der Tamil:innen in Sri Lanka?
In den fünfziger Jahren wurde in Sri Lanka das «Sinhala Only»-Gesetz eingeführt, das Englisch durch Singhalesisch als alleinige Landessprache ersetzte – mit dem Ausschluss des Tamilischen. Weitere Gesetzgebungen schlossen die Tamil:innen, die weder Englisch noch Singhalesisch sprachen, aus dem Bildungssystem aus. Danach wurden weitere die Tamil:innen diskriminierende Gesetze verabschiedet, so wurden etwa strengere Anforderungen für Unizulassungen gestellt. Gleichzeitig haben sich viele Tamil:innen so weit wie möglich an die Bildung geklammert – in einer guten Ausbildung sahen viele den einzigen Ausweg aus der Unterdrückung.
Was bewog Sie, 2016 den Tamilischen Verein der Studierenden mitzugründen?
Mich haben die tamilischen Studierendenvereine in England und Kanada inspiriert. So habe ich mein Studium auch mit der Hoffnung begonnen, andere Tamil:innen aus der Schweiz kennenzulernen und eine Gruppe zu gründen, die sich auch informell treffen kann. In einem Seminar habe ich dann eine Tamilin kennengelernt, die mit anderen zusammen schon daran war, einen solchen Verein zu gründen – so bin ich in diese Sache reingerutscht.
Was war Ihre gemeinsame Motivation?
Wir wollten einen Ort gründen, wo wir als Gleichgesinnte über und mit der tamilischen Diaspora sprechen können. Jedes Jahr setzen wir zudem ein Projekt um, mit dem wir etwas an die tamilische Gemeinschaft hier oder in Sri Lanka zurückgeben können.
Hauptberuflich sind Sie im Projektmanagement im Bildungsbereich tätig. Welche Rolle spielt da Ihre eigene Lebenserfahrung?
In meiner Tätigkeit als Juniorprojektleiterin begleite ich Projekte im Bildungsbereich, Schulen etwa, die ihre Lehrpläne der Aktualität anpassen möchten, um die Schüler:innen in der Arbeitswelt geforderte Kompetenzen zu lehren. Durch diese Arbeit kann ich der Gesellschaft etwas zurückgeben. Zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen, war zwar oft schwierig – dadurch habe ich aber auch an Stärke gewonnen. In meinem Beruf kann ich so eine migrantische und interkulturelle Sicht einbringen. Das ist aber eine Fähigkeit, die alle Menschen mit Migrationshintergrund in der Schweiz mitbringen.
Aarusza Ramachandran (28) ist die erstgeborene Tochter tamilischer Eltern, die Ende der achtziger Jahre in die Schweiz flüchteten. Sie lebt in Brugg, arbeitet in Bern und besucht regelmässig ihre Verwandtschaft in Sri Lanka.