Durch den Monat mit Aarusza Ramachandran (Teil 4): Sehen Sie Ihre Zukunft in der Schweiz?

Nr. 4 –

Warum es Aarusza Ramachandran wichtig ist, das Erbe der ersten Generation der tamilischen Diaspora auch der nächsten weiterzugeben. Und was die Besuche bei ihrer Verwandtschaft in Sri Lanka bei ihr auslösen.

Portraitfoto von Aarusza Ramachandran
«Immer wenn ich in Sri Lanka bin, fühle ich mich anders als hier. Es ist eine unbeschreibliche Emotion, die mich dabei begleitet»: Aarusza Ramachandran.

WOZ: Aarusza Ramachandran, eine der grossen Fragen an der Veranstaltung «40 Years: Tamil Diaspora Switzerland» Anfang Dezember in Bern, die Sie mitorganisiert haben, lautete: Wie geht es der tamilischen Diaspora? Wie würden Sie diese Frage heute beantworten?

Aarusza Ramachandran: Ich kann natürlich nicht für alle sprechen. Sicher ist: Alle in der tamilischen Diaspora tragen einen schweren Rucksack. Die erste Generation kommt ins Pensionsalter: Die traumatischen Erlebnisse von früher kommen hoch; altersbedingte Krankheiten – oft von der harten Arbeit in Tieflohnbranchen – sind ebenfalls ein grosses Thema. Gleichzeitig verspüren sie Dankbarkeit dafür, in Sicherheit in der Schweiz zu leben, auch wenn es ihnen hier nicht wirklich gefällt wie in der eigenen Heimat. Generell würde ich sagen: Der zweiten Generation geht es sicher besser als unseren Eltern.

Was meinen Sie mit «auch wenn es ihnen hier nicht wirklich gefällt»?

Das bezieht sich auf Tamil:innen der ersten Generation, die gezwungenermassen hierher flüchten mussten. Wirklich gefallen kann einem ja erst etwas, wenn man es freiwillig gewählt hat. Und es ist ja auch normal, dass man von den ersten zwanzig Lebensjahren geprägt ist. Für Tamil:innen der ersten Generation waren das die Jahre in Sri Lanka – und damit das Aufwachsen in einem grossen Familienkollektiv. Das ist hier in der Schweiz nicht mehr auf dieselbe Weise gegeben. Hinzu kommt das kältere Klima in der Schweiz.

Was bräuchte es, damit sich die Community in der Schweiz wohler fühlen würde?

Das Ziel, sich vollkommen wohlzufühlen, ist wohl utopisch. Man kann diesem Zustand höchstens nahekommen – es wird aber nie das Gleiche sein wie das ursprüngliche Zuhause. Aus dem Lebensalltag gerissen zu werden, lässt immer ein Gefühl von Heimweh zurück.

Und was heisst das für die zweite Generation?

Anders als unsere Eltern kämpfen wir nicht mit existenziellen Ängsten. Wir haben das Privileg, unseren Wunschberuf in der Schweiz zu erlernen und auszuüben. Zudem sehen wir uns selbst als Schweizer:innen, deren Zukunft eher hier liegt. Gleichzeitig nehmen wir aber auch die Erlebnisse unserer Eltern mit. Es ist ein gemischtes Gefühl. Als Tamil:innen haben wir noch nicht das erreicht, was wir wollen.

Zum Beispiel?

Freiheit. Ganz einfach. In Sri Lanka ist die Situation der Tamil:innen nicht wirklich besser geworden, noch immer werden sie unterdrückt. Die Menschen in Sri Lanka machen zwar das Beste daraus, aber frei sind sie nicht. Diesen Schmerz der Tamil:innen in Sri Lanka spüren wir auch hier. Wir bekommen auch hier mit, was sie schon alles erlitten haben.

Wie wollen Sie sich selbst für die Freiheit der Tamil:innen in Sri Lanka einsetzen?

Ich würde mich nicht als Aktivistin bezeichnen. Ich bin einfach aktiv in der Gemeinschaft unterwegs. Indem ich immer wieder neue Leute aus der Community kennenlerne, kann immer wieder etwas Neues entstehen – wie etwa der Tamilische Verein der Studierenden oder eine Veranstaltung wie die zu «40 Jahre tamilische Diaspora in der Schweiz». Durch solche Projekte können die Unterdrückung der Tamil:innen in Sri Lanka, aber auch Problematiken unserer hiesigen Diaspora thematisiert werden und an die Öffentlichkeit gelangen. Es ist mir aber auch wichtig, das Erbe unserer Eltern lebendig zu halten. Die erste Generation wird älter, und ich fühle mich verpflichtet, das kulturelle Wissen und die Werte auch der nächsten Generation weiterzugeben. Das kann auf der politischen Ebene sein – oder etwas ganz Alltägliches wie etwa Kochrezepte.

Was für eine Verbindung haben Sie selbst zu Sri Lanka?

Das Land verbinde ich stark mit meiner Verwandtschaft. Bei meinen Besuchen in Sri Lanka sehe ich, wie meine Eltern ganz anders miteinander, mit sich und mit ihren Geschwistern umgehen – und wie sie in der vertrauten Umgebung aufblühen. Auch lerne ich so mit eigenen Augen die Orte kennen, von denen mir meine Eltern erzählt haben. Ich hatte das Glück, alle meine Grosseltern kennengelernt zu haben. Durch den Besuch der damit verbundenen Orte kann ich eine engere Verbindung zu den Erinnerungen aufbauen.

Wie würden Sie die Atmosphäre in Sri Lanka beschreiben?

Das Wetter, die Gerüche – die ganze Atmosphäre ist völlig anders. Immer wenn ich dort bin, fühle ich mich anders als hier: Es ist eine unbeschreibliche Emotion, die mich dabei begleitet. Bei den Rückreisen spüre ich jeweils eine grosse Schwere. Früher versuchte ich, meinem Ehemann zu beschreiben, wie sich das anfühlt. Als er erstmals mitreiste, hatte auch er beim Abschied von meiner Verwandtschaft Tränen in den Augen. Ich würde schon sagen, dass immer ein Stück von mir dortbleibt.

Ihre Zukunft sehen Sie aber in der Schweiz?

Momentan, mit meinem Beruf, den ich gerne ausübe, sehe ich mich in der Schweiz. Ich würde aber nicht ausschliessen, für längere Zeit auch mal in Sri Lanka zu leben. Letztmals war ich im März dort – am liebsten würde ich bald wieder hinfliegen.

Aarusza Ramachandran (28) arbeitet als Juniorprojektleiterin im Bildungsumfeld.