Kommentar von Jan Jirát: Atomarer Irrweg
Nach der SVP will nun auch die FDP allen Ernstes auf den Bau neuer AKWs setzen.
Kaum ein anderes Dossier hat zuletzt für hitzigere Debatten in Bundesbern gesorgt als die Energiepolitik. Allen voran der im Herbst verabschiedete «Mantelerlass», das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, war ein harter Brocken. Im Kern ging es um die Frage, wie stark eine forcierte erneuerbare Energieproduktion in die Natur und Landschaft eingreifen darf. Sehr weit, entschied das Parlament letztlich, und die grossen Umweltverbände schluckten das. Ein neu gegründetes «Bündnis für Natur und Landschaft Schweiz» hingegen lancierte ein Referendum und sammelt derzeit Unterschriften. Gut möglich, dass der Mantelerlass noch dieses Jahr zur Abstimmung kommt.
Wahrscheinlich ist auch eine weitere energiepolitische Abstimmung. Wie das Komitee der Initiative «Blackout stoppen» bestätigt, werde diese bald eingereicht. Sie hätten «aktuell über 100 000 Unterschriften» beisammen. Die Initiative will über eine Verfassungsänderung das gesetzlich verankerte Verbot des Baus neuer Atomkraftwerke kippen, dem 2017 annähernd sechzig Prozent der Stimmberechtigten zustimmten.
Haupttreiber der AKW-Initiative ist der Verein Energie Club Schweiz, der massgeblich von Daniel Aegerter geprägt wird, einem steinreichen Investor und überzeugten Atomkraftlobbyisten. Im Initiativkomitee sitzen sonst vor allem Jungpolitiker:innen der FDP und der SVP, aber auch einige etablierte Kräfte wie die Nationalräte Christian Imark (SVP) oder Marcel Dobler (FDP). Während die SVP schon lange und offen für neue AKWs weibelt, ist die Unterstützung des Freisinns relativ neu. Unter der ehemaligen Parteipräsidentin Petra Gössi (2016–2021), die die FDP auf einen grünen Kurs führen wollte, spielte Atomkraft für die Partei keine Rolle. Seit Thierry Burkart am Steuer sitzt – oder besser: im Seitenwagen der SVP –, hat sich das komplett geändert. Die FDP ist zum glühenden AKW-Turbo mutiert.
Das zeigte sich in der letzten Session kurz vor Weihnachten. Im Rahmen der nationalrätlichen Debatte um den «Beschleunigungserlass», mit dem der Bundesrat die Verfahren für die Planung und den Bau grosser Wasser-, Wind- oder Solarkraftwerke straffen will, stellte die FDP einen Antrag, das bestehende AKW-Neubauverbot wieder aufzuheben. Am Ende reichte die volle Unterstützung der SVP relativ knapp nicht, die Abstimmung ging mit 90 zu 101 Stimmen verloren.
Die atomare Kehrtwende der FDP ist aus mehreren Gründen unbegreiflich. Kurz vor Weihnachten informierte Swissolar, der schweizerische Fachverband für Sonnenenergie, dass allein im letzten Jahr 1500 Megawatt Solarleistung zugebaut worden sind: ein Wachstum von vierzig Prozent. Die Stromproduktion erreiche mittlerweile sechs Terawattstunden pro Jahr – das entspricht genau der Produktion der AKWs Beznau 1 und 2. Der Solarexpress rollt. Der Bau eines AKW hingegen dauert mindestens zwanzig Jahre, in dieser Zeit wäre sein Beitrag zur Versorgungssicherheit gleich null. Hinzu kommen horrende Kosten. Das zeigen aktuelle Beispiele aus Frankreich und Finnland, wo AKWs statt der ursprünglich kommunizierten drei beziehungsweise vier Milliarden Euro jeweils deutlich über zehn Milliarden Euro kosteten.
Es ist fast schon zum Lachen: Ausgerechnet jene Partei, die die Formel «Mehr Freiheit – weniger Staat» seit Jahrzehnten hochhält, lässt sich für ein Projekt einspannen, das staatlicher und zentralistischer nicht sein könnte. Das stellte erst Anfang Dezember Christoph Brand, Chef des Schweizer Stromkonzerns und AKW-Betreibers Axpo, öffentlich klar: «Ohne staatliche Förderung geht der Neubau eines Kernkraftwerks nicht.» Die entsprechenden Subventionen schätzt er gar höher ein als jene für die alpinen Solaranlagen, die sechzig Prozent der Investitionskosten betragen.
Im Parlament wird künftig die Position der Mitte-Partei entscheidend sein. Im Nationalrat lehnte sie den FDP-Antrag im Dezember ab, aber im Initiativkomitee der Atomfreund:innen sitzt auch Peter Hegglin, Zuger Mitte-Ständerat. Wie es aussieht, dürften am Ende aber ohnehin die Stimmberechtigten das letzte Wort haben.
Kommentare
Kommentar von Peter S.
Sa., 06.01.2024 - 08:14
Es braucht Beides: Ausbau der Photovoltaik und AKWs. Jeder der selbst eine Photovotaikanlage installiert hat, sieht täglich, wie wenig Strom damit im Winter erzeugt werden kann. Selbst Gegner von AKSs haben mittlerweile realisiert, dass zur Deckung der Winterstromlücke nach Abschaltung der AKWs Gaskraftwerke nötig sein werden. Diese werden dann wohl mit LNG Gas betrieben, was in der Oekobilanz etwa gleichwertig ist wie ein Braunkohlekraftwerk. Die mittlere Bauzeit für ein AKW betrug bisher übrigens 12 Jahre. Die Bewilligungsprozesse müssen in der Schweiz wohl generell überdacht werden. Auch Photovoltaikanlagen, Wasser- und Windkraftwerke haben ja bei uns schon ähnliche lange Realisierungszeiten wie ein AKW.