Energiepolitik: Atomare Zuckungen

Nr. 24 –

Unterstützung für das Stromgesetz gab es von der FDP bis zu Greenpeace. Wie konfliktreich aber die Umsetzung werden dürfte, zeigt sich daran, dass die breite Allianz noch am Abstimmungssonntag zerbrach.

Symbolbild: Wegweiser mit der Aufschrift «Kernkraftwerk» und «Wasserkraftwerk»
Das Stromgesetz war kaum umstritten, da bleibt nach der Abstimmung genug Energie für einen Richtungsstreit. Foto: Gaëtan Bally, Keystone

Die deutliche Annahme des Stromgesetzes – knapp 69 Prozent der Stimmberechtigten sagten Ja dazu – lässt keine Zweifel offen: Die Unterstützung für den Ausbau erneuerbarer Energien in der Bevölkerung ist gross. Und auch die Politik stellte sich, mit Ausnahme der gespaltenen SVP, vereint hinter das Anliegen. Doch darüber, wie und mit welchen Konsequenzen der beschlossene Ausbau der Erneuerbaren umgesetzt werden soll, herrscht weitreichende Uneinigkeit.

Bruchlinien programmiert

Die Grünen beispielsweise sehen das Abstimmungsresultat als Auftrag, in die Offensive zu gehen. Sie lancierten am Dienstag eine «Solar-Initiative», die will, dass grundsätzlich bei jedem Neu- und Umbau eine Solaranlage mitgeplant wird. «Auf Schweizer Dächern, Fassaden und Infrastrukturen gibt es genug geeignete Flächen, um mehr als den gesamten heutigen Strombedarf der Schweiz mit Solarenergie zu decken», begründet die Partei ihre Initiative, die mit dem Fokus auf bebaute Flächen auf einen Bereich abzielt, der im Stromgesetz nicht abgedeckt ist.

So wichtig das Anliegen ist, so schwierig dürfte es werden, damit Erfolg zu haben. Das zeigte sich am Sonntag im Kanton Schaffhausen. Dort erhielt eine Initiative der Jungen Grünen zur Solarpflicht auf Dächern nur knapp 40 Prozent Zustimmung, während das Stromgesetz mit über 63 Prozent angenommen wurde. Die Initiative wollte Hausbesitzer:innen via Kantonsverfassung zur Produktion von Solarstrom auf ihren Hausdächern spätestens in zwölf Jahren verpflichten. Das sei offenbar als Zwang wahrgenommen worden, sagte Gianluca Looser, Kantonsrat der Jungen Grünen, selbstkritisch gegenüber SRF. Die nun lancierte nationale Solar-Initiative ist deutlich defensiver formuliert, was deren Chancen erhöhen dürfte.

Diverse bürgerliche Politiker:innen wie auch SVP-Energieminister Albert Rösti hingegen deuten das klare Ja zum Stromgesetz auch als Aufforderung an die Umweltverbände, sich gefälligst nicht länger in die Ausgestaltung des Ausbaus der Erneuerbaren einzumischen. Schon am Sonntagabend forderte Rösti die grossen Umweltverbände gemäss NZZ dazu auf, «ihre Mitstreiter und mitwirkenden Organisationen von den Wasserkraftprojekten zu überzeugen und sich mit Einsprachen zurückzuhalten». Mitte-Ständerat Beat Rieder ging noch einen Schritt weiter und sagte, ebenfalls in der NZZ, «dass wir über härtere Massnahmen zur Umsetzung des Gesetzes nachdenken» müssten, sollte es Widerstand gegen die sechzehn Wasserkraftprojekte geben, die im Stromgesetz stehen (siehe WOZ Nr. 17/24). Eine implizite Drohung an die Umweltverbände, das bestehende Verbandsbeschwerderecht abzuschwächen oder gar abzuschaffen.

So treten die Bruchlinien bei der konkreten Umsetzung des Stromgesetzes bereits überdeutlich zutage. Das gilt nicht nur bei der Wasserkraft, sondern genauso für den Solar- und Windenergieausbau: Für beide Bereiche müssen die Kantone nun Eignungsgebiete festlegen. Ein Prozess mit hohem Konfliktpotenzial. Es besteht die Gefahr, dass die Sorgfalt und die Rücksicht auf Natur und Landschaft vergessen gehen. Gegen Windenergieprojekte dürfte es gar Fundamentalopposition geben, mit der SVP und der umstrittenen NGO Freie Landschaft Schweiz (siehe WOZ Nr. 20/23) lehnen zwei lautstarke Akteurinnen den Ausbau kategorisch ab.

Ein weiteres Kampffeld, das sich am Sonntag bereits deutlich abzeichnete, wird die Atomenergie sein. Die SVP forderte umgehend: «Wir müssen jetzt neue Kernkraftwerke bauen.» Unterstützung kam vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der sich beklagte, die Schweiz sei aktuell kaum fähig, «Grossprojekte umzusetzen». Im Bereich der Atomkraft verbietet sie es sogar gesetzlich. «Das ist fahrlässig. Es braucht Technologieoffenheit», so der mächtige Verband. Schon länger hat sich auch die FDP in Stellung gebracht mit einem Postulat ihres Präsidenten Thierry Burkart, der die Laufzeit der bestehenden AKWs so weit wie nur möglich verlängern will.

Hinzu kommt die «Blackout-stoppen-Initiative», die Anfang Jahr bereits zustande gekommen ist: Sie will das 2017 von den Stimmberechtigten beschlossene Neubauverbot für AKWs wieder rückgängig machen. Hinter der Initiative steht der Energie-Club Schweiz, eine bürgerliche Lobbyorganisation. Im entsprechenden Komitee sitzen vor allem Mitglieder von SVP und FDP, aber beispielsweise auch Mitte-Ständerat Peter Hegglin und Wirtschaftsvertreter:innen.

Der wohl prominenteste und mächtigste Unterstützer sitzt aber im Bundesrat. Gemäss «Blick»-Recherchen will Energieminister Albert Rösti schon bald einen Gegenvorschlag zur «Blackout-stoppen-Initiative» ausarbeiten, der das AKW-Neubauverbot ebenfalls kippt. Die Debatte um die Atomenergie hat bereits gehörig Fahrt aufgenommen – und sie wird so schnell nicht wieder verschwinden.

Von wegen «sauber»

Das weiss auch Simon Banholzer von der Schweizerischen Energie-Stiftung. «Sie kennen nur die alte Welt, in der die Schweizer Stromversorgung mittels Wasser- und Atomkraftwerken funktioniert hat», sagt er. Diese Welt sei auch eine zutiefst zentralistische – wohingegen die Erneuerbaren, allen voran die Solarenergie, dezentral strukturiert seien. «Deshalb schreien sie nach Grosskraftwerken und neuen AKWs», so Banholzer.

Der Energieexperte verweist einerseits auf eine aktuelle Studie der Universität Genf. Diese prüfte gemeinsam mit den ETHs in Zürich und Lausanne anhand verschiedener Modelle, ob die Schweiz bis im Jahr 2035 insgesamt 35 Terawattstunden (TWh) Strom aus erneuerbaren Energien produzieren kann, wie es das Stromgesetz vorsieht. Der Studienbefund ist eindeutig: Technologisch gesehen ist das Ziel auf jeden Fall erreichbar – ganz ohne Atomenergie oder grosse fossile Kraftwerke. Für Banholzer ist deshalb klar: «Mit der Annahme des Stromgesetzes ist der Weiterbetrieb unserer AKWs über das nächste Jahrzehnt hinaus auch aus Sicht der Versorgungssicherheit nicht notwendig.»

Der Atomstrom sei mit einem erheblichen Klumpenrisiko verbunden und überdies auch keineswegs so «sauber», wie die Befürworter:innen ihn gerne darstellten. Das begründet Banholzer mit einer langen Aufzählung: «Der lange, kostspielige Bau und der komplexe Rückbau der Kraftwerke, die Gefahr durch radioaktive Strahlung, der umwelt- und gesundheitsschädliche Abbau von Uran, der Import aus zweifelhaften Quellen und die Lagerung von Atommüll.»

Das Ja zum Stromgesetz wird dem Ausbau der Erneuerbaren zusätzlichen Schub verleihen, Ruhe oder gar Frieden wird im Bereich der Strom- und Energiegewinnung damit aber mitnichten einkehren. Eher im Gegenteil: Die Umsetzung dürfte weit umstrittener und umkämpfter ausfallen als die Abstimmung zum Gesetz selbst.

Die Kommentare zu den Abstimmungen vom 9. Juni finden Sie unter www.woz.ch/9juni.