Atomkraft: Im Kern antidemokratisch

Nr. 35 –

Energieminister Albert Rösti will das AKW-Neubauverbot kippen. Seit Mittwoch ist klar: Der Bundesrat macht mit. Die Folgen wären verheerend.

Die alten Seilschaften, sie bestehen noch. Im März war der mächtigste Energiepolitiker des Landes, SVP-Bundesrat Albert Rösti, zu Gast an einer Geburtstagsfeier: In Zug feierte der regionale Ableger der «Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz» (Aves) sein Vierzig-Jahr-Jubiläum. Hinter dem harmlos klingenden Vereinsnamen steckt eine AKW-Lobbyorganisation. Zu ihren besten Zeiten gehörten Aves über hundert bürgerliche Bundesparlamentarier:innen an. Rösti selbst war von 2014 bis 2018 Vereinspräsident, ehe sich die Atomkraftlobbygruppe zumindest auf nationaler Ebene auflöste. Im Mai 2017 hatten über 58 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten Ja zur Energiestrategie 2050 und damit auch zu einem Verbot neuer Atomkraftwerke gesagt.

Unberechenbare Mitte

Mittlerweile wittert der Verein wieder Morgenluft. Der Saal in Zug war voll, inklusive der regionalen bürgerlichen Politprominenz, die Reden waren angriffig. Und alle feierten ihren Expräsidenten. Aus gutem Grund: Kürzlich wurde publik, dass Rösti im Bundesrat beantragt hat, das AKW-Neubauverbot aufzuheben. Er stiess damit auf Wohlwollen; seine Kolleg:innen beauftragten ihn aber offenbar damit, den Antrag noch zu überarbeiten. Im zweiten Anlauf hat es nun geklappt. Am Mittwoch machte der Bundesrat publik, dass Verbot neuer AKWs streichen zu wollen. Das ist sein indirekter Gegenvorschlag zur «Blackout stoppen»-Initiative. Dieser geht nun in die Vernehmlassung. Danach wird das Parlament darüber befinden.

In den Räten braucht es die Stimmen der Mitte, um das Neubauverbot zu kippen. Also ausgerechnet von jener Partei, deren Altbundesrätin Doris Leuthard die Energiestrategie 2050 erfolgreich durch eine Volksabstimmung brachte. Das heute bestehende AKW-Neubauverbot ist ihr politisches Vermächtnis. Aber einige Mitte-Männer wie etwa der Zuger Ständerat Peter Hegglin sind AKW-Befürworter. Es ist unklar, wie die notorisch uneinige Partei stimmen wird, wenn die Vorlage dereinst ins Parlament gelangt. Das letzte Wort wird aber ohnehin die Stimmbevölkerung haben.

Das rechtsbürgerliche AKW-Powerplay ist trotzdem fatal. Es ist im Kern demokratieverachtend: Erstens liegt der klare Volksentscheid für ein Verbot neuer Atomkraftwerke gerade einmal sieben Jahre zurück. Und zweitens ist die rechtsbürgerliche Mehrheit im Bundesrat nicht mehr gerechtfertigt. Schliesslich ist die FDP seit dem schlechtesten Wahlresultat ihrer Geschichte im Herbst 2023 übervertreten – während grüne Stimmen aussen vor bleiben.

Fatal ist auch die Idee der rechtsbürgerlichen AKW-Befürworter:innen, wie neue Atomkraftwerke zu finanzieren seien. Gemäss «NZZ am Sonntag» fordern sie allen Ernstes staatliche Subventionen, und zwar aus dem Fonds zur Unterstützung erneuerbarer Energien, der jährlich mit 1,3 Milliarden Franken gespiesen wird. Mit jeder verbrauchten Kilowattstunde Strom zahlen Konsument:innen 2,3 Rappen in diesen Fonds. Die Atomkraftlobby rechtfertigt den möglichen Anspruch auf diese Fördergelder damit, dass Atomstrom CO₂-neutral und damit klimafreundlich sei. Ausserdem verringere die Atomkraft die Abhängigkeit von Stromimporten aus dem Ausland.

Griff in den falschen Fördertopf

Diese Darstellung ist falsch. So fallen bei einem AKW hohe CO₂-Emissionen an. Und ohne den fossilen Energieträger Uran, der unter hohem Ressourcenverbrauch abgebaut und dann angereichert werden muss, läuft kein AKW. Die entsprechenden Brennelemente muss die Schweiz aus dem Ausland importieren, oft aus Russland, das mit dem Uranexport seine Rüstungsindustrie quersubventioniert, wie die Schweizerische Energiestiftung kürzlich in einer Studie dokumentierte. Das negieren die Atomkraftbefürworter:innen um Rösti genauso wie jenen Punkt, der 2017 massgeblich zum Neubauverbot geführt hat: Jedes AKW birgt das Risiko von Unfällen, die langfristige und weitreichende Schäden verursachen.