AKW-Debatte: Der doppelte Albert
Energieminister Rösti will das AKW-Neubauverbot kippen. Er bezieht sich dabei explizit auf die sogenannte Blackout-Initiative. Doch mit dem Unterschriftenskandal, der diese Woche publik wurde, steht nun plötzlich die Frage im Raum: Ist diese überhaupt gültig?
Es ist eine Enthüllung, die mitten ins direktdemokratische Herz der Schweiz trifft: Wie der «Tages-Anzeiger» am Montag aufdeckte, haben kommerzielle Unterschriftensammler:innen mutmasslich im grossen Stil betrogen. Die Unternehmen sollen für zahlreiche Initiativen Tausende Unterschriften gefälscht haben. Aufgeflogen ist der Betrug, weil die Initiant:innen der Initiative «Service Citoyen» nach Unregelmässigkeiten misstrauisch wurden und zu forschen begannen.
Ob bereits Initiativen zur Abstimmung gekommen sind, die für ungültig hätten erklärt werden müssen, ist derzeit nicht bekannt. Doch der Kanton Waadt hat dem «Tages-Anzeiger» eine Liste mit verdächtigen Volksbegehren vorgelegt, darunter rechte Anliegen wie die Neutralitätsinitiative der SVP oder Tier- und Naturschutzanliegen wie dasjenige für einen Stopfleberimportstop. Die Bundesanwaltschaft wiederum bestätigt, dass sie derzeit zu mehreren Volksbegehren Untersuchungen eingeleitet hat und gegen Firmen ermittelt. Die grösste davon heisst Incop und ist in Lausanne beheimatet.
Die Enthüllungen kommen zu einem äusserst delikaten Zeitpunkt: Denn vom Fälschungsskandal mutmasslich betroffen ist auch die Initiative «Blackout stoppen». Ausgerechnet jene also, die den Bundesrat, angeführt von Energieminister Albert Rösti, letzte Woche zum Beschluss veranlasste, aus dem Atomausstieg aussteigen zu wollen. So, wie es auch die Anfang Jahr eingereichte Initiative des Energie-Clubs Schweiz verlangt, will der Bundesrat das Verbot für den Bau neuer Atomkraftwerke aufheben – und damit den 2017 in einer Volksabstimmung beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie per indirekten Gegenvorschlag kippen.
Dass es angesichts der neusten Entwicklungen diesen Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative vielleicht gar nicht geben dürfte – es ist der bisher grösste Skandal in diesem Politikdrama, aber längst nicht der einzige.
Eben noch bei den Initiant:innen
Im Mai dieses Jahres plauderte SVP-Bundesrat Rösti mit seinem Parteikollegen Roger Köppel in dessen Videoformat «Weltwoche Daily» über das Stromgesetz, als ihm ein freudscher Versprecher rausrutschte: Man werde den Bau neuer Atomkraftwerke früher oder später sowieso wieder diskutieren müssen, sagte er, «weil wir ja die Blackout-Initiative eingereicht … äh, erhalten haben». Röstis Versprecher verrät die Doppelrolle, die er in der Atomfrage spielt: Bis zu seiner Wahl in den Bundesrat Ende 2022 war er selbst Mitglied des Energie-Clubs, also jener AKW-Lobbyorganisation, die die Initiative lanciert hat.
Nun ist Rösti Energieminister, und als solcher gibt er sich vernünftig. Dass die Schweiz künftig neue Atomkraftwerke bauen soll, verkauft er der Allgemeinheit vor allem mit dem Argument der «Planungssicherheit». Seit dem Atomausstiegsbeschluss hätten sich die Bedingungen nun einmal geändert, erzählt er derzeit überall. Der Ausstieg aus den Fossilen, die geopolitische Lage, der steigende Stromverbrauch durch das Bevölkerungswachstum und ein zu langsam fortschreitender Ausbau der Erneuerbaren: «Da brauchen wir in Zukunft einfach auch die Option des Atomstroms.»
Zahlreiche Expert:innen sehen das anders: Der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern ist auch ohne Atomstrom möglich. So kam etwa ein vom Bundesamt für Energie gefördertes Konsortium von Wissenschaftler:innen der Universitäten Genf und Bern sowie der ETH in Lausanne und Zürich zum Schluss, dass das mit dem Stromgesetz beschlossene Ziel einer grünen Energiewende ohne Atomstrom realistisch sei, wenn der Ausbau von Solarstrom, Wind und Wasser konsequent vorangetrieben werde.
SP-Nationalrat Roger Nordmann, der in seinem Buch «Klimaschutz und Energiesicherheit» ein Modell für die grüne Wende beschreibt, sagt: «Wir bauen derzeit so schnell Solarstrom aus, dass das AKW Gösgen in sechs Jahren ersetzt sein wird.» Der Stromverbrauch nehme zwar zu – auch mit der Elektrifizierung von Heizung und Verkehr –, aber nicht in drastischem Ausmass. Und laut Nordmann wird das Bevölkerungswachstum «durch die steigende Energieeffizienz wettgemacht».
Auch die geopolitische Lage spricht nicht für, sondern gegen neue AKWs. «Es ergibt null Sinn, dass Rösti die geopolitische Lage als Argument für neue AKWs ins Feld führt», sagt Nordmann. «Wenn, dann zwingt uns diese dazu, noch schneller unabhängiger von Russland zu werden. Uran für Atomkraftwerke gibt es aber fast nur dort.»
Jedem die richtige Botschaft
Trotz seiner zur Schau gestellten Konzilianz handelt Rösti in der Atomfrage auch als Bundesrat offensichtlich ideologisch motiviert. Er ist Teil einer rechtsbürgerlichen Fraktion, die unbeirrt am Fortschrittsversprechen der Atomkraft festhält und von einer nuklearen Zukunft träumt. Das heraufbeschworene Szenario einer Strommangellage dient ihm dabei als Vorwand. Nils Epprecht von der Schweizerischen Energiestiftung sagt, sowohl der Staat als auch Unternehmen müssten heute in den Ausbau der Erneuerbaren investieren. «Wenn der Bundesrat nun das Phantom neuer AKWs heraufbeschwört, hemmt er diese Investitionen und bedroht damit die Energiewende.»
Bemerkenswerterweise scheint dies auch Albert Rösti bewusst zu sein. Noch letztes Jahr sagte er gegenüber der NZZ, es sei nicht seine Aufgabe, Diskussionen über die Kernkraft zu führen. «Wir brauchen den zusätzlichen Strom dringend. Es wäre gefährlich, diese Bemühungen mit Grundsatzdiskussionen zu torpedieren. Das würde sofort Druck wegnehmen und den Gegnern von neuen Kraftwerken für erneuerbaren Strom Argumente liefern.»
Gegenüber seiner eigenen Klientel hingegen steht Rösti auf «Weltwoche Daily» ganz frei zu seinen Zielen: Im eingangs erwähnten Gespräch mit Köppel sagt der SVP-Bundesrat nämlich auch, man müsse nun freilich ein paar Terawattstunden Winterstrom mit Erneuerbaren produzieren; aber dies sei nur als eine Notmassnahme zu betrachten, «es regelt uns die nächsten zehn Jahre». Bevor dann eben wieder AKWs gebaut werden könnten. Lisa Mazzone, Präsidentin der Grünen, sagt denn auch: «Rösti sieht die Erneuerbaren nur als Zwischenlösung für die Rückkehr in ein atomares Zeitalter. Das ist gefährlich, und wir werden mit allen Mitteln dagegen ankämpfen.»
Im Parlament haben sich Röstis bürgerliche AKW-Freund:innen bereits in Stellung gebracht: Sie fordern für künftige AKW-Projekte Geld aus dem Fördertopf für erneuerbare Energien. Doch ob Rösti seine atomaren Träume verwirklichen kann, ist nicht nur wegen der Kräfteverhältnisse im Parlament fraglich. Auch der Wirbel um die Blackout-Initiative dürfte ihm nicht helfen. Die Initiative des Energie-Clubs Schweiz, in deren Komitee auch prominente Politiker wie die Nationalräte Marcel Dobler (FDP) und Christian Imark (SVP) sowie Ständerat Peter Hegglin (Die Mitte) sitzen, steht schon seit ihrer Lancierung in der Kritik: Denn das nötige Kleingeld für die Lancierung des Anliegens lieferte Unternehmer und AKW-Freund Daniel Aegerter, dessen Vermögen auf 500 bis 600 Millionen Franken geschätzt wird.
Die Bundesanwaltschaft schweigt
Mit der prall gefüllten Kampfkasse engagierten die Atomstromfreund:innen über eine Stiftung die Zürcher Politagentur Kommunikationsplan – und bezahlten kommerzielle Firmen, allen voran das nun in Verdacht geratene Lausanner Büro Incop, mit dem Sammeln von Unterschriften. Wie viele der eingereichten Unterschriften gefälscht sind, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt nicht sagen. Auffällig ist, dass für die Initiative überproportional viele Stimmen aus der Westschweiz eingereicht wurden, wo die mutmasslich betrügerischen Büros am aktivsten waren.
Der Energie-Club schreibt auf Anfrage: «Wir haben die Zusammenarbeit mit den kommerziellen Sammlern mehr als ein Jahr vor Einreichung der Initiative beendet, nachdem sehr viele Unterschriftenbogen falsch sowie unvollständig ausgefüllt waren […]» Wie gross der Anteil von Incop sei, könne man nicht genau beziffern. «Wir überlegen uns aber, rechtliche Schritte einzuleiten, da wir zur Sicherstellung von genügend Unterschriften viel mehr Unterschriften als ursprünglich geplant sammeln mussten.» Der Verfassung habe man damit «Genüge getan».
Die Bundesanwaltschaft hüllt sich derweil auch gegenüber der WOZ in Schweigen. Auf die Frage, was die Konsequenzen für Albert Röstis Gegenvorschlag wären, wenn sich die Blackout-Initiative als ungültig herausstellt, antwortet sie: «Prognosen zu Verfahrensabschlüssen sind nicht möglich.»