Eine galaxieweite Pandemie, die Beinaheauslöschung der Menschheit, Wirtschaftskriminalität, die vielen die Existenzgrundlage raubt: Die Bücher von Emily St. John Mandel sind auf den ersten Blick keine Stimmungsaufheller. Und doch gewinnt die kanadische Schriftstellerin ihren düsteren Stoffen eine heitere Leichtigkeit ab, die aber nie banal wirkt. In ihrem neusten Roman strahlt bereits der Titel Frieden aus: «Das Meer der endlosen Ruhe».

Mandel wird darin zur Zeitreisenden in die Vergangenheit und die Zukunft ihres bisherigen Werks. Unterwegs landet sie an einem wilden Küstenstreifen Kanadas: ein Flecken, an den sie immer wieder zurückkehrt und der auch für ihre Leser:innen zu einem Sehnsuchtsort geworden ist. Wir treffen hier auf Edwin St. John St. Andrew, Engländer aus gutem Haus, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Übersee verstossen wurde, weil er seine berühmten Vorfahren vor Gästen kritisiert hatte. Er hat genug Geld, weiss aber nicht, was er mit sich anfangen soll. Bis ihm im Wald ein Zeitreisender im Priestergewand begegnet und er einen Augenblick lang plötzlich selbst in der Zukunft steht, was ihm den Magen umdreht.

Weitere Zeitebene: eine Schriftstellerin auf Lesetour im Jahr 2203. Eigentlich lebt sie mit ihrer Familie in einer fernen Mondkolonie und reist nun auf der alten Erde von Kontinent zu Kontinent, um ihren Roman zu vermarkten. Doch plötzlich häufen sich rätselhafte Krankheitsfälle. Noch tiefer in der Zukunft: ein klandestines Institut, das «die Integrität der Zeitlinie» sichern soll. Zu diesem Zweck werden Ermittler:innen in die Vergangenheit geschickt, um Anomalien auszubügeln. Beim Wechsel zwischen den Zeitebenen tauchen unweigerlich alte Science-Fiction-Fragen auf: «Falls wir in einer Simulation leben, wie können wir dann wissen, dass es eine Simulation ist?» Und was geschieht mit der Zukunft, wenn die Vergangenheit verändert wird? Erzählt ist dieses futuristische Gedankenspiel aber mit viel Bodenhaftung, stoischem Optimismus und einer weisen zwischenmenschlichen Ironie. 

Daniela Janser