Literatur: Der Tüftler und die Signale vom Mars

Nr. 3 –

In ihrem neuen Roman begibt sich Alida Bremer auf die Spuren des Erfinders und Physikers Nikola Tesla. Im Zentrum steht jedoch ein junger Kroate, der in New York sein Glück sucht.

Tesla – bei diesem Wort denken wohl die meisten heute spontan an die Elektroautos von Elon Musk, dem mit rund 250 Milliarden US-Dollar Vermögen reichsten Mann der Welt. Nikola Tesla, auf den der Name des Fahrzeugs Bezug nimmt, starb 1943 in New York in bitterer Armut und geriet danach für lange Zeit in Vergessenheit. Im vor dreissig Jahren zerbrochenen Jugoslawien hingegen wurde Tesla als Volksheld verehrt. Der internationale Flughafen von Belgrad ist nach ihm benannt, und in Zagreb sitzt er, in Bronze gegossen, nachdenklich an einer nach ihm benannten Strasse in der Innenstadt. Nur der kommunistische Langzeitherrscher Tito war in Jugoslawien wohl bekannter als Tesla.

«Tesla oder Die Vollendung der Kreise» heisst nun der dritte Roman der kroatisch-deutschen Schriftstellerin Alida Bremer. Nach ihrem autobiografisch gefärbten Erstling «Olivas Garten» (2014) erzählte sie in «Träume und Kulissen» (2021) vom Leben in ihrer Heimatstadt Split im Jahr 1936, als sich dort geflüchtete Jüd:innen, kommunistische Nazigegner:innen, Spioninnen und Schlepper aus aller Welt tummelten.

Audienz im Luxushotel

Nikola Tesla, geboren 1856 als Serbe im heutigen Kroatien, war ein vielseitig begabtes Genie: Er war Tüftler, Physiker, Ingenieur, machte zahlreiche Erfindungen und entwickelte das bahnbrechende Zweiphasenwechselstromsystem. In 26 Ländern erhielt er 280 Patente, 118 allein in den USA, wohin er im Alter von 28 Jahren ausgewandert war. Hauptfigur von Bremers Roman ist jedoch nicht der grosse Erfinder Tesla, sondern Anton Matijaca, ein junger Kroate aus der Gegend von Split, der wegen antiösterreichischer Umtriebe von der Schule geflogen ist. Als Minderjähriger schifft er sich 1905 im Hafen von Triest, das damals wie auch Split zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gehörte, ohne Begleitung für eine Überfahrt nach New York ein. Wie so viele Emigrant:innen aus der Alten Welt sucht Anton dort sein Glück. Vor allem aber will er den berühmten Tesla kennenlernen.

Über den grossen Erfinder spricht der junge Kroate auch mit Ernesto Chiaro, einem geschwätzigen, aber belesenen Italiener aus Triest, den er auf der Überfahrt kennenlernt. Beide sind österreichische Staatsbürger, doch während der Italiener Nationen für Hirngespinste europäischer Dichter hält, träumt der Kroate von der Vereinigung der slawischen Völker. In New York finden sie Anschluss in der italienischen und der kroatischen Community und schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Kenntnisreich beschreibt Bremer das Milieu der Einwander:innen in Manhattan zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Anton spart für ein Medizinstudium, Ernesto lebt in den Tag hinein, treibt sich im Künstler:innenmilieu herum und will vor allem berühmt worden. Sein Ziel ist es, ein Theaterstück zu schreiben. Den Titel weiss er schon: «Tesla oder Die Vollendung der Kreise» – eine Anspielung auf Goethes Ode «Das Göttliche». Einen Auszug aus dem Gedicht stellt die Autorin ihrem Roman voran.

Ernesto und Anton verehren Tesla. Anton schreibt diesem einen Brief, in dem er ihn um eine Audienz bittet. Schon eine Woche später werden sie ins Luxushotel Waldorf-Astoria eingeladen. Dort hat sich Tesla, der nach seiner Einwanderung zwischenzeitlich als Tagelöhner im Strassenbau arbeitete, niedergelassen – und wird aus der Nobelherberge erst ausziehen, als er seine Schulden nicht mehr bezahlen kann. Anton und Ernesto treffen einen freundlichen Herrn, der beim Kaffee das Volumen der Kuchenstücke berechnet – «idealerweise 393 Kubikzentimer» – und den beiden Besuchern einen Vortrag über die Bedeutung der Zahl Drei in Dantes «Göttlicher Komödie» hält.

Genie mit Schrullen

Tesla ist besessen von der Idee, über den Äther Energie von einem Kontinent auf den andern zu transferieren, er glaubt, Signale vom Mars empfangen zu haben. Obsessionen paaren sich mit Schrullen. So füttert und kuriert er in seinem Hotelzimmer kranke Tauben, die er in Parks aufgelesen hat.

Anton, inzwischen Medizinstudent, wird von einer anderen Wirklichkeit eingeholt. 1912 ist der Erste Balkankrieg ausgebrochen. Er wolle zurück nach Europa, schreibt er in seinem Abschiedsbrief an Tesla, um den Freiheitskampf der Balkanvölker als Sanitäter zu unterstützen. Es wird ein kurzes Intermezzo. Erst 1937 kehrt er endgültig nach Europa zurück. Als Arzt arbeitet er schliesslich an der Küste Kroatiens, von der er einst in die Neue Welt aufgebrochen ist. So hat sich sein Kreis vollendet.

Was Teslas Leben betrifft, orientiert sich Alida Bremer weitgehend an historisch verbürgten Fakten. Aber auch Anton, auf kroatisch Ante, gab es im wirklichen Leben. Der kroatische Arzt Ante Matijaca besuchte Tesla in New York zweimal. Seine Enkelin hat der Autorin die unveröffentlichten Erinnerungen ihres Grossvaters zur Verfügung gestellt und ihr viel von ihm erzählt. Alida Bremer, die in der Nähe der Geburtsorte von Tesla und Matijaca aufwuchs und heute im westfälischen Münster lebt, hat auf Basis von Recherchen und Gesprächen einen wunderbaren Roman über die Träume von Auswanderern und den Traum eines tragischen Helden geschrieben.

Buchcover von «Tesla oder die Vollendung der Kreise»
Alida Bremer: «Tesla oder die Vollendung der Kreise». Roman. Jung und Jung Verlag. Salzburg 2023. 397 Seiten. 35 Franken.