Weltwirtschaftsforum: Auf dem Jahrmarkt des Kapitals

Nr. 4 –

Verstopfte Strassen und 3000 Superwichtige in Davos: Die schönen Worte beim Wef sind angesichts der Krisen noch unglaubwürdiger, der Protest wird wieder etwas lauter.

Autoverkehr auf einer Strasse in Davos während des Wef
Gutes Geschäft: Ladenlokale werden an Staaten wie Indien vermietet, die dort wiederum Geschäfte machen. Foto: Laurent Gilliéron, Keystone

An jeder Ecke stehen Polizist:innen, am Himmel dröhnen Hubschrauber. Davos wird vom Weltwirtschaftsforum (Wef) belagert. Fussgänger:innen müssen sich in Acht nehmen, die Strassen sind voll von Luxuslimousinen und Kleinbussen, die aufs Tempo drücken, wenn mal kein Stau ist. Trottoirs werden für Ausweichmanöver benutzt.

Über dem Treffen liegt wie ein Schatten die Amtseinführung von Donald Trump. Was immer am Dienstag, dem ersten Tag des Veranstaltungsreigens, auch besprochen wird, meist wird direkt oder indirekt auf den angekündigten Wandel Bezug genommen, der mit der zweiten Amtszeit des republikanischen US-Präsidenten einhergehen soll. Spekuliert wird etwa über die Auswirkungen auf den globalen Handel und die internationale wirtschaftliche Entwicklung.

Wachstum über alles

Auch die Eröffnungsrede von Ursula von der Leyen im vollen Plenarsaal scheint eine einzige lange Antwort auf die erste Rede des neuen US-Präsidenten tags zuvor zu sein. Die EU-Kommissionspräsidentin versichert, dass die EU sich in ihren Werten nicht ändern werde, man aber «bereit ist, zu verhandeln» und sich auf die neue Situation einzustellen. Mit Trump drohen den europäischen Unternehmen Exportzölle und möglicherweise weitere Restriktionen. Zudem hat Trump klargemacht, dass ihn die globale Klimakrise rein gar nicht interessiert (vgl. «Am Ende hilft vielleicht die Eitelkeit»). Auch die Unterstützung der Ukraine hat bei ihm keinen hohen Stellenwert. Beides Themen, die in der EU als prioritär bezeichnet werden.

Trotz all der Streitpunkte und Unsicherheiten gibt es auch viele Gemeinsamkeiten. Zuallererst das Paradigma, für das das Wef wie kaum eine andere Institution steht: freies Unternehmertum und hohes Wirtschaftswachstum. Dieser gemeinsame Nenner verbindet letztlich alle: Diktaturen im Stil Saudi-Arabiens (das mit neun Ministern angereist ist), Länder wie Argentinien und Trumps USA, die auf Deregulierung und Autoritarismus setzen, oder europäische Demokratien. Allerdings verheddert sich ausgerechnet die EU mit ihrem propagierten grünen Kapitalismus in immer grössere Widersprüche. So sagt von der Leyen am Dienstag, dass auch für die EU billige Energie prioritär sei. Während Trump für eine günstige Energieversorgung viel mehr klimaschädliches Öl und Gas aus dem Boden holen lassen will, bleiben von der Leyens Rezepte schwammig. Sie spricht von grossen Investitionen in neue Zukunftstechnologien wie Fusionsreaktoren und macht damit nur klar, dass es einen schnellen Ausstieg aus fossilen Energien auch in Europa nicht geben wird, trotz starker Zunahme von Wind- und Solarkraftanlagen.

«Besteuert die Superreichen!»

Dank der Umweltorganisation Greenpeace kommt am Dienstag doch noch eine andere Tonlage in die Eröffnungszeremonie. Über dem Eingang zum grossen Plenarsaal im gut gesicherten Kongresszentrum rollen zwei Aktivst:innen auf einem kleinen Mauervorsprung ein Banner aus, auf dem zu lesen ist: «Besteuert die Superreichen. Finanziert eine gerechte und grüne Zukunft». Die Besucher:innen nehmen es beim Hineinlaufen stoisch zur Kenntnis.

«Tax the super-rich» ist das Motto einer neuen Kampagne von Greenpeace. Kampagnenleiterin Clara Thompson sagt dazu: «Es ist empörend, dass Politiker, CEOs und die mächtige Elite in Davos endlos über globale Herausforderungen debattieren, während die Welt brennt.» Viele Menschen könnten grundlegende Bedürfnisse nicht befriedigen und hätten mit den sich verschlimmernden Auswirkungen der Klimakrise zu kämpfen. Es fehle nicht am Geld, um die sozialen und ökologischen Krisen anzugehen, dieses sei nur in den falschen Taschen. Am Montag hatte die Umweltorganisation deswegen auch für eine Stunde die Zufahrt zum Hubschrauberlandeplatz in Davos blockiert, wo die Superreichen und Superwichtigen einfliegen.

Pop-ups auf der Promenade

Das Wef gibt es seit 55 Jahren. Vom kleinen Managersymposium ist es zum globalen Treffen der Grosskonzerne geworden, bei dem die Politiker:innen im Grunde Bittsteller:innen sind. Sie buhlen darum, dass sich globale Konzerne in ihren Ländern ansiedeln und Superreiche bei ihnen investieren. Dies zeigt sich sehr deutlich auf der Promenade, der Hauptgeschäftsstrasse von Davos. Zahlreiche Staaten haben sich dort in Ladenflächen eingemietet und diese aufwendig aufgemacht. Über dem Migros-Restaurant hat sich Saudi-Arabien eingerichtet. Katar hat ein mehrstöckiges Holzhaus bauen lassen, Indien gleich ein ganzes Gebäude übernommen. In diesen Pop-up-Läden werden Geschäftsleute eingeladen und Deals ausgehandelt. Auf den Trottoirs flanieren die Wef-Gäste mit ihren Badges wie auf einem Jahrmarkt und verschwinden hin und wieder in einem der neuen «Läden», die nicht für eine breitere Öffentlichkeit gedacht sind. Auch einige grosse Konzerne haben solche Vertretungen eingerichtet.

Trotz der grossen Polizeipräsenz gelingt es am Montag drei Aktivist:innen, etwas Farbe ins Geschehen zu bringen: Sie besprühen den temporären Laden von Amazon mit grüner Farbe und schreiben in Rot darüber «Warning Greenwashing». Anschliessend lassen sie sich verhaften. Amazon stosse mehr klimaschädigende Kohlenstoffe aus als die 71 Länder mit den niedrigsten Treibhausgasemissionen zusammen, heisst es in einer Erklärung der Gruppe Drop Fossil Subsidies.

Eine Stunde zuvor ist an derselben Strasse bereits der Eingang des Fünfsternehotels Flüela mit grüner Farbe attackiert worden. Hier war es der deutsche Klimaaktivist Lasse Schulz, der sich nach seiner Tat an ein Geländer kettete und im Anschluss von der Polizei verhaften liess. Schulz, der der Letzten Generation nahesteht, will mit seiner Aktion ein Zeichen gegen die «Superreichen» setzen, die von der Ausbeutung im Globalen Süden profitierten.

Demonstration sichtbarer

Auch der organisierte Protest gegen das Wef ist dieses Jahr wieder etwas sichtbarer. Das Bundesgericht hat im Oktober entschieden, dass es nicht zulässig sei, die Teilnehmer:innen der jährlich stattfindenden zweitägigen Protestwanderung von Küblis nach Davos von der Strasse auf Wanderwege zu verbannen. Das widerspreche dem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Promenade in Davos allerdings bleibt eine Verbotszone.

Am Samstag vor der Wef-Eröffnung können rund 350 Demonstrant:innen während Stunden auf der Kantonsstrasse von Küblis in Richtung Klosters ziehen. Tags darauf müssen sie dann doch auf dem Wanderweg bleiben, angeblich, um Rettungsfahrzeugen die Durchfahrt zu ermöglichen. Dennoch ist die Stimmung der Demonstrant:innen am Wochenende ausgelassen. Wo der Wanderweg beim Weiler Laret die Strasse kreuzt, blockieren sie diese für eine halbe Stunde tanzend. Später blockiert eine dreissigköpfige Gruppe einen weiteren Strassenabschnitt. Überall winken aus Häusern und vorbeifahrenden Zügen Leute den Demonstrant:innen zu. Diese rufen derweil eine Parole besonders oft: «Eat the rich!»