Long Covid: Endlich Aussicht auf eine klare Diagnose

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Der Nachweis einer Long-Covid-Signatur im Blut könnte Betroffenen helfen, ihnen zustehende Leistungen zu erhalten.

Exakt zwei Jahre ist es her, dass der Basler Neurowissenschaftler Dominique de Quervain in der WOZ ein nationales Meldesystem für Long-Covid-Betroffene forderte. Doch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weigert sich bis heute, ein solches Register aufzubauen – «aufgrund der vielfältigen Krankheitsbilder und der sich ändernden Symptome über die Zeit». Mit andern Worten: weil eine klare Diagnose fehlt.

Das könnte sich bald ändern. Vor wenigen Tagen ist in der renommierten Fachzeitschrift «Science» eine Studie unter der Leitung des Zürcher Immunologen Onur Boyman erschienen, die erstmals eine Art Signatur von Long Covid im Blut nachweisen konnte. Sein Team hat bei 40 Long-Covid-Patient:innen zum Zeitpunkt ihrer akuten Erkrankung und sechs Monate später über 6500 Proteine im Blut untersucht und mit den Werten von 39 Gesunden verglichen. Dabei stiessen sie auf ein spezifisches Proteinprofil, das bei den Patient:innen erhöht war und darauf hinwies, dass ihr Körper noch immer gegen Entzündungen ankämpfte.

Die Proteine gehören zu einem Teil des angeborenen Immunsystems, der aktiv wird, sobald Viren und Bakterien in den Körper eindringen, und ihm hilft, Infektionen zu bekämpfen und infizierte respektive beschädigte Zellen zu beseitigen. Statt nach getaner Arbeit in den Ruhezustand zurückzukehren, bleiben sie bei Long-Covid-Patient:innen offenbar überaktiv und verursachen so Mikrogerinnsel im Blut, schädigen die Innenwände von Blutgefässen, Organe und Nervenzellen im Gehirn und zerstören rote Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport zuständig sind. Was zu den Symptomen passt, die besonders häufig beschrieben werden: chronische Erschöpfung, Belastungsintoleranz, Konzentrationsschwierigkeiten und Brainfog.

Nun ist die untersuchte Gruppe mit vierzig Betroffenen ziemlich klein, die Resultate müssen sich erst noch in grösseren Patient:innengruppen bestätigen. Aber Boyman ist überzeugt, dass sich die identifizierten Biomarker in einem Bluttest nachweisen lassen, und drängt deshalb zur Eile. «Natürlich kann man immer noch grössere Studien mit mehr Patientinnen und Patienten machen», sagte er in einem Interview des «Tages-Anzeigers». «Doch unsere Resultate genügen […] durchaus, um jetzt mit der Entwicklung eines diagnostischen Tests zu beginnen.»

Das wäre vor allem für die Betroffenen wichtig – allein in der Schweiz sind es laut der Patient:innenorganisation Long Covid Schweiz rund 300 000 Menschen. Sie leiden nicht nur an den Symptomen, sondern auch daran, dass die Ursachen und Mechanismen, die zu Long Covid führen, nach wie vor ungeklärt sind und ihr Leiden oft als psychosomatisches Problem abgetan wird.

Dringlich wäre ein diagnostischer Test für Long Covid aber auch, weil immer mehr Betroffenen das Krankentaggeld ausgeht, wie der «Beobachter» im November 2023 berichtete. Zwar hält das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) klar fest: Wer «langfristig in der Erwerbstätigkeit eingeschränkt bleibt, kann Leistungen der IV beanspruchen». Bloss erhält diese kaum jemand, wie das Covid-19-Monitoring des BSV zeigt. Es erfasst seit 2021 alle Personen, die sich aufgrund von Long Covid bei der IV angemeldet haben. Rund zwei Drittel von ihnen erhielten keinerlei Leistungen, eine Rente wurde weniger als vier Prozent zugesprochen.

Und einmal mehr sind Frauen doppelt benachteiligt: Sie sind nicht nur deutlich häufiger als Männer von Long Covid betroffen und machen entsprechend einen grossen Teil der Gesuchstellenden aus; drei von vier sind jünger als 55 und stehen mitten im Berufsleben, erhalten aber trotzdem noch seltener als Männer eine Rente. 2021 waren es drei Prozent aller weiblichen Antragstellenden, 2022 sogar nur noch zwei Prozent. Für 2023 liegen noch keine Zahlen vor.

Mit einem Bluttest, der Long Covid diagnostizieren kann, hielten gerade diese schwerst Betroffenen endlich ein Dokument in der Hand, das ihren Rentenanspruch ausweist.