Pop: 68 Extraleben
Wie kann ich über die Welt sprechen und über den Ort, an dem ich lebe? Was wache Musikanthropolog:innen umtreibt, könnte auch selbst Pop sein, haben sich zwei Berner womöglich gedacht. Hinter dem Unterfangen Melodies In My Head stehen: der Forscher und Norient-Festival-Idealist Thomas Burkhalter mit seinem ausufernden ethnografischen Interviewarchiv, digitalen Schubladen voller geliehener Stimmen und Dikta, die auch Songtexte sein könnten; und der Musiker Daniel Jakob und seine Lust auf riskante Synthesizersounds, die auch vom Handy abgespielt gut klingen.
Aber lassen wir die zwei am Anfang stehen, denn das Popprojekt Melodies In My Head sägt nicht zuletzt auch munter am Autor:innenbegriff. Oder wächst einfach darüber hinaus, mit einer Multitude an Erzählstimmen, Gesängen, Blickwinkeln. Und mit Tanz: Eurozentrisch hüftsteif wäre es doch, ihn von der Musik zu unterscheiden.
Der Forschungsstand von Melodies In My Head wird zum Albumrelease nun als interdisziplinäre Multimediaperformance oder, wie man lieber schreiben möchte: als Konzert veranstaltet. Da hören wir Nairobi zu und Accra, videotelefonieren nach Beirut und besuchen die Diaspora in London. «Joy Anger Doubt», so heisst die Auslegeordnung – davon kann die ganze Welt ein Lied singen. Von der Freude am Aufbruch, von der Wut über das Kleingedachtwerden, vom Zweifel an sich selbst.
Wie poetisch der Versuch am zeitgenössischen Folksong trotz wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse klingen kann, verrät bereits ein Streifblick über die Tracklist. «Hit a Flamingo» oder «68 Extra Years on Earth» oder «The Sound of People Buying»: Sofort spannen sich kleine Universen auf – wie bei einem guten Folksong eben. Die lyrische Rede vom Universalen und Spezifischen, wie sie auch vielen Liedtraditionen eingeschrieben ist, wird hier vom Kunstprojekt her gedacht und mit allerhand Gästen und Geistern freigelassen.