Völkerrecht: Ein Entscheid gegen Netanjahu

Nr. 5 –

Der Internationale Gerichtshof fordert Israel dazu auf, alles dafür zu tun, bei seinem Militäreinsatz keinen Völkermord zu begehen. An der Kriegstaktik wird das aber nichts ändern.

Es ist eine Mahnung an die Adresse von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und ein Teilerfolg für Südafrika. Eine weitere Episode im Kampf um die Weltmeinung, wo Israel ohnehin einen schweren Stand hat. Am Freitag entschied der Internationale Gerichtshof (IGH), dass Israel seinen Militäreinsatz im Gazastreifen nicht sofort beenden, aber alles dafür tun muss, dass es dort nicht zu einem «Völkermord» kommt. Der IGH hält angesichts von über 26 000 Toten die Gefahr eines Genozids für plausibel. Auch ein Aufhetzen zu einem «Völkermord» müsse Israel «verhindern und bestrafen», mahnte Gerichtspräsidentin Joan Donoghue einen Tag vor dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

Es ist eine der meistbeachteten Entscheidungen des Uno-Gerichts seit seiner Gründung im Jahr 1948; und es ist eine erste Entscheidung im langwierigen Genozidverfahren. Sie betrifft erst «vorläufige Massnahmen». Ende Dezember hatte Südafrika die Klage gegen Israel wegen Verletzung der Völkermordkonvention eingereicht und in einem Eilantrag ein Ende des Militäreinsatzes in Gaza gefordert.

Dass dieses Urteil die Kriegsführung beeinflusst, ist jedoch nicht zu erwarten. Netanjahu kündigte nach dem Entscheid an, den Krieg bis zum «absoluten Sieg» fortsetzen zu wollen. Allein schon wegen seiner militärischen Stärke wird Israel kurz- und mittelfristig ohnehin die Oberhand behalten – und dass Israel stets Angst um seine Existenz hat, ist verständlich. Eine für alle befriedigende Lösung des Konflikts scheint derzeit unmöglich.

Zudem ist der IGH kein Strafgericht, kann also niemanden für schuldig befinden. Er soll Konflikte zwischen Staaten lösen und kann lediglich beurteilen, ob Israel gegen die Völkermordkonvention verstossen hat. Zwar sind die Urteile des Gerichts bindend, aber es hat keinerlei Mittel zur Verfügung, um sie auch durchzusetzen. Aktuellstes Beispiel: Im März 2022 ordneten die Richter:innen in Den Haag das sofortige Ende der russischen Gewalt in der Ukraine an.

Dennoch darf das Haager Urteil nicht unterschätzt werden. Es kann den Druck auf Israel erhöhen, weil auch die Verbündeten wie die USA und Grossbritannien, die Südafrikas Klage heruntergespielt haben, unter Druck geraten. Sie haben als Unterzeichner:innen der Völkermordkonvention die Pflicht, diese zu unterstützen. Auch kann der Ruf Israels Schaden nehmen. Denn das Land wird mit dem Gerichtsentscheid in seinem Innersten getroffen. Auch als Reaktion auf den Holocaust hatte die Uno 1948 das «Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes» verabschiedet – ein Schlüsselelement des humanitären Völkerrechts.

Zur Verteidigung Israels muss gesagt werden, dass die Hamas kein staatlicher Akteur ist und sich deshalb niemals vor dem IGH wird verantworten müssen. Zwar verwiesen die Richter:innen auch auf das Leid der Israelis – doch ein kurzer Einschub über das Massaker vom 7. Oktober reicht nicht aus, um dieser Katastrophe gerecht zu werden. Noch immer werden rund 130 Geiseln von der Hamas festgehalten. Kurz nach dem Entscheid des IGH veröffentlichte sie ein Video auf dem Onlinedienst Telegram, das mutmasslich drei in Gaza festgehaltene Israelinnen zeigt.

Der Entscheid ist ein erster Erfolg für Südafrika. Das Land vergleicht die Unterdrückung der Schwarzen Bevölkerung durch die weisse Minderheit während des Apartheidregimes (1948–1994) in Südafrika mit dem Umgang Israels mit den Palästinenser:innen. Oftmals kritisierten afrikanische Länder den IGH dafür, dass er aus ihrer Sichtweise häufiger Vergehen afrikanischer Staaten verhandelt hat, während andernorts auf der Welt ebenfalls Kriegsverbrechen begangen werden.