Kraftwerkbau per Notrecht: Eine Ohrfeige für den Bundesrat
Es war ein ungleicher Kampf. Der Bundesrat, das Energiedepartement und der milliardenschwere US-Energiekonzern General Electric auf der einen Seite, eine pensionierte Englischlehrerin, eine junge Jurastudentin und Aktivist:innen des Klimastreiks auf der anderen. Am Ende stand eine krachende Niederlage der Schwergewichte.
Aber der Reihe nach: Ende 2022 setzte der Bundesrat per Notrecht den Bau eines gas- und dieselbetriebenen Reservekraftwerks von General Electric im aargauischen Birr durch und erliess wenig später auch eine Betriebsbewilligung. Er rechtfertigte sein Vorgehen mit dem angeblich hohen Risiko einer Strommangellage im nahenden Winter.
Das wollte die in Birr wohnhafte Gillian Müller nicht gelten lassen. Sie erhob mithilfe der angehenden Juristin Lena Bühler und unterstützt von Aktivist:innen des Klimastreiks Einsprache gegen die Betriebsbewilligung. Für Müller bestand damals schlicht keine Gefahr einer schweren Mangellage, die den Betrieb eines fossil betriebenen Kraftwerks in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gerechtfertigt hätte – und sie sollte recht behalten: Am letzten Freitag publizierte das Bundesverwaltungsgericht das entsprechende Urteil: Die vom Bundesrat Ende 2022 durchgeboxte Betriebsbewilligung für das Reservekraftwerk in Birr war illegal. Das Energiedepartement konnte nicht ausreichend darlegen, dass tatsächlich eine schwere Mangellage drohte. Ein Paukenschlag. Und insbesondere für den Klimastreik ein grosser Erfolg.
Mit ihrem entschiedenen Widerstand gegen das Kraftwerk in Birr standen die Klimaaktivist:innen Ende 2022 alleine auf weiter Flur. Die SP mochte sich nicht gegen ihre damalige Energieministerin Simonetta Sommaruga stellen, und sowohl die Grünen wie auch die etablierten Umwelt- und Klimaschutzorganisationen wollten sich angesichts der bundesrätlichen Schreckensszenarien offensichtlich nicht die Finger verbrennen. Dabei hätte es gereicht, eine ausführliche Analyse des Bundesamtes für Energie vom November 2022 zu lesen: Diese zeigte in aller Deutlichkeit auf, dass eine Unterversorgung für den nahenden Winter unwahrscheinlich sei (siehe WOZ Nr. 45/22).
Für den Bundesrat ist das jetzige Urteil eine Ohrfeige. Die Ausgangslage war nach der russischen Invasion in die Ukraine sicherlich keine leichte. Es war sinnvoll, die Öffentlichkeit über mögliche Energieengpässe aufzuklären. Doch wie glaubwürdig ist es, eine Mangellage heraufzubeschwören, wenn beispielsweise in den Bergregionen gleichzeitig die Schneekanonen auf Hochtouren laufen? Massnahmen zu prüfen, ist richtig. Aber wieso versteifte sich der Bundesrat auf fossile Kraftwerke, statt erneuerbare Energieprojekte voranzutreiben? Und wieso waren entschiedene Stromsparmassnahmen keine Option?
Das bundesrätliche Vorgehen war aber nicht bloss rückständig, sondern auch finanziell fahrlässig. Die insgesamt drei Kraftwerke in Birr, Cornaux NE und Monthey VS, die der Bund bis 2026 als Reserve bereithalten will, kosten total eine halbe Milliarde Franken. Wobei der Löwenanteil – 470 Millionen Franken – auf das neu gebaute Ungetüm am Ortseingang von Birr entfällt, wo nun acht weisse Turbinentürme in Reih und Glied stehen, hinter einer 20 Meter hohen und 200 Meter langen Lärmschutzmauer.
Der Klimastreik fordert nun den Rückbau dieses fossilen Mahnmals sowie die Auflösung der Verträge mit den beiden kleineren Kraftwerken in der Romandie. Zudem soll der Bund die Ausschreibung weiterer neuer Reservekraftwerke, die bis 2041 in Betrieb sein sollen, zurücknehmen. Es sind berechtigte Forderungen, gerade angesichts des aktuellen Urteils. Und es ist zu hoffen, dass der Widerstand gegen jegliche neue fossile Infrastruktur dieses Mal mehr politischen Support erhält.
Gut möglich, dass sich das Problem am Ende von selbst löst: So produziert die Schweiz in diesem milden Winter so viel Strom, dass sogar Überschüsse ins Ausland verkauft werden können.