Literatur: Die Sprache der RAF sprechen
Die Rote-Armee-Fraktion (RAF) macht plötzlich wieder Schlagzeilen: Nach der Verhaftung der jahrzehntelang untergetauchten Daniela Klette in Berlin sind die deutschen Behörden im Fahndungsfieber und suchen nach ihren mutmasslichen Gefährten. Ein politisches Reizthema war die RAF schon lange nicht mehr. Ein popkulturelles umso mehr: In Film und Fernsehen, Songs und Büchern leben Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Co. seit Jahren fort, meist als Zerrbilder. Gross ist die Faszination für Habitus und Ästhetik, all das Äusserliche des bewaffneten Kampfes, den die RAF Anfang der Siebziger aufgenommen hatte. Doch warum es sie überhaupt gab, dafür interessiert sich diese Art RAF-Beforschung nur marginal.
Die Schriftstellerin Stephanie Bart tut demgegenüber etwas ganz und gar Radikales: Sie fängt noch einmal von vorne an. Ihr Roman «Erzählung zur Sache» entwickelt minutiös die inneren Überzeugungen der RAF-Mitglieder, indem sie allein die Perspektive derer einnimmt, die wissen: «Es geht nur so, anders geht es nicht.» Die Erzählerstimme spricht immer wieder die Sprache der RAF, oft kommt sie aus dem Inneren von Gudrun Ensslin, die gewissermassen die Hauptfigur des Romans ist.
Der Titel lehnt sich an die «Erklärung zur Sache» an, die vor Gericht erlaubte Einlassung eines Angeklagten zum Tatvorwurf. Die Angeklagten versuchten so im grossen Stammheimer RAF-Prozess (1975–1977), ihre Gedanken der Aussenwelt mitzuteilen. Ein Grossteil des Romans spielt vor Gericht, dafür hat Bart die Tonaufnahmen des Prozesses genial kompiliert. Seitenlang fallen sich hier Anwälte, Richter und Angeklagte ins Wort. Daraus Literatur zu machen, zeugt von grosser Kunstfertigkeit.
Diese zeigt sich auch daran, dass Bart zwar den Duktus der RAF einwebt, aber dennoch einen überaus flüssig zu lesenden Roman geschaffen hat. So nah wie «Erzählung zur Sache» dürfte kein Werk der RAF je gekommen sein. Nun ist es überdies unerwartet aktuell.