Durch den Monat mit Mareice Kaiser (Teil 2): Feministische Daddys auf Instagram – wollen wir das?
Die wohligen Bilder normschöner Mütter in den sozialen Medien sind der deutschen Autorin Mareice Kaiser seit jeher suspekt. Diejenigen privilegierter Väter sowieso. Sie empfiehlt: schleunigst entfolgen.

WOZ: Frau Kaiser, hat Sie das Muttersein verändert?
Mareice Kaiser: Ich würde nicht sagen, dass es mich verändert hat, nein. Eher so was wie genauer gemacht. Konkreter. Wie wenn auf so einem Bild ein blurry Filter liegt und dann plötzlich alles scharf wird. Ich war alles, was ich heute bin, schon vorher, aber bin es durch die Mutterschaft deutlicher geworden. Mein Selfie war vorher verschwommen, und jetzt ist es scharf.
In Ihrem Buch «Das Unwohlsein der modernen Mutter» analysieren Sie sehr präzise die Ansprüche, die heutzutage an Mütter gestellt werden, und das Gefühl, das daraus resultiert. Was ist es, dieses Unwohlsein?
Ja, dieses Wort. Ich hab schon viele Gespräche darüber geführt. Vielen Menschen war «Unwohlsein» zu schwammig oder zu banal. Für mich war der Begriff genau richtig, weil er so eine grosse Spannbreite von Empfindungen abdeckt. Von «Mir ist komisch oder übel» bis hin zu «Ich steh vor der psychiatrischen Notambulanz, weil ich nicht mehr kann». Für mich steckt das alles in dem Begriff. Mir ging es aber auch um das öffentliche Bild von Mutterschaft. Diese ganzen beigen Fotos, auf denen normschöne Mütter mit ihren Babys an der normschönen Brust sitzen, ein seliges Lächeln auf den Lippen. Mutterschaft ist ja der Inbegriff von Wohlsein. Und das gefällt mir auch total gut: dass der Begriff «Unwohlsein» so gar nicht zu der Art passt, wie öffentlich über Mutterschaft gesprochen wird.
Bei beigen Fotos denke ich sofort an die sozialen Medien. Viele Mütter, die ich kenne, sind auf Instagram und folgen sogenannten Momfluencers. Was für Mutterschaften werden da präsentiert?
Das kann ich Ihnen gar nicht mehr so wirklich sagen, weil mir mittlerweile fast ausschliesslich Content gezeigt wird, den ich bewusst ausgewählt habe. Die Mütterbilder in meinem Feed sind queer, dick, Patchworkfamilien, alleinerziehende und rassifizierte Menschen. Ah, aber doch, letztens wurde mir ein Reel angezeigt von einer sich selbst als «Jungsmama» bezeichnenden Person. Sie sagte: «Ich bin Jungsmama, natürlich trete ich jeden Tag auf Lego!» Dieses Reproduzieren von Stereotypen gibt es da natürlich oft, aber in solchen Fällen klick ich einfach an, dass ich das nicht mehr sehen will. Ich bin mit den Jahren auch vielen Menschen entfolgt. Das würde ich allen empfehlen: Beobachtet, was Content mit euch macht, und entscheidet ganz bewusst, wem ihr folgen wollt und wem nicht. Zum Thema Familie folge ich zum Beispiel gern dem Account @minoandtheirchaos*. Und ich folge auch sehr gern Menschen, die Familie nicht als Hauptthema haben.
Ich sehe auf Instagram öfter Väter, die über Mental Load oder Mehrfachbelastung reden …
… weils ihre Frauen ihnen erklärt haben. (Lacht.)
Genau. Es gibt diesen deutschen Mann einer Influencerin, der erreicht Hunderttausende mit seinem «ehrlichen Dad Content». Sicher auch Väter. Ist das eine gute Entwicklung?
Schwierig. Also auf der einen Seite ist es natürlich eine gute Entwicklung, weil Menschen, die bisher viel zu wenig Care-Arbeit übernommen haben, zeigen, dass sie die Arbeit übernehmen und sich dazu Gedanken machen. So was hat schon eine Vorbildfunktion. Ich bin aber eher Anhängerin eines Zitats des Autors Till Raether. Der wurde mal gefragt, wie er das alles geschafft habe, als Vater in einer Führungsposition. Er antwortete, er habe gute Vorbilder gehabt: alle Mütter, die er kenne. Die hätten ihm erklärt, was ihn mit der Elternrolle erwarte und was es für Strategien gebe, damit umzugehen.
Aber das würde dieser Influencer wohl auch so sagen.
Bestimmt, bloss bekommt er ja die Aufmerksamkeit, die Reichweite und das Geld. Und nicht die Mütter, die sich abrackern. Und man muss auch sagen: Diejenigen Väter, die auf Social Media so eine grosse Reichweite haben, sind zu 99,9 Prozent sehr privilegierte Männer. Die können in die Ferien, leisten sich vielleicht eine Haushaltshilfe oder eine Nanny.
Das Argument dieser Väter ist ja immer: Wir schaffen Bewusstsein. Privilegien werden dabei selten hinterfragt.
Mich stört an diesen Daddys vor allem, dass sie oft so tun, also hätten sie jetzt plötzlich die tollen Lösungsideen für Vereinbarkeit erfunden. Dabei kommen die von feministischen Autor:innen und Aktivist:innen, die seit Jahrzehnten zu diesen Themen arbeiten. Wir alle müssen uns fragen, warum so viele lieber diesen Daddys zuhören als den Menschen, auf deren Schultern sie stehen. Ich finde, den meisten ist geholfen, wenn Männer die Klappe halten und das Klo putzen. Das wäre für mich der erste Schritt. In zehn Jahren oder so, wenn wir neue Gesetze haben, wenn Väter dafür negativ bewertet werden, dass sie keine Elternzeit nehmen, dann können wir darüber reden, dass sie auch Applaus auf Social Media bekommen, weil sie sich mit um Kinder und Haushalt kümmern und darüber sprechen. Bis dahin sehe ich nicht ein, wieso sie Likes, Kooperationen und Geld dafür bekommen sollten, dass sie einen grundlegenden Missstand begriffen haben.
* Auf dem Account @minoandtheirchaos teilt Autor:in Yassamin-Sophia Boussaoud aus München Einsichten zu queerer Elternschaft und Lyrik. Mareice Kaiser (42) liest und lernt seit vielen Jahren von Yassamin-Sophia Boussaoud.