Frauenrechte in Polen: Wie steht es um die feministische Wende?

Nr. 14 –

Der Regierungswechsel Ende 2023 sollte Polen einen radikalen Wandel in Bezug auf Frauenrechte bringen. Einiges ist auf dem Weg, doch wichtige Anliegen drohen unterzugehen.

Am 21. März dieses Jahres zog die polnische Öffentlichkeit vorläufig Bilanz: An diesem Tag war die neue Regierung unter der Führung von Premierminister Donald Tusk exakt hundert Tage im Amt. Während das Dreierbündnis aus der Bürgerkoalition KO von Tusk, dem liberal-konservativen Dritten Weg (TD) und der Neuen Linken (NL) einige Erfolge vorzuweisen hat, kritisierten die Pol:innen in einer Umfrage vor allem die schwache Umsetzung in Sachen Schutz der Frauenrechte: Mehr als vierzig Prozent sehen die bisherigen Massnahmen insgesamt als gescheitert, bei Anhänger:innen der Linken sind es gar fast siebzig Prozent.

Zwar hat die Regierungsmehrheit noch vor ihrem Amtsantritt am 13. Dezember 2023 als erstes Gesetz die Wiedereinführung der staatlichen Finanzierung der In-vitro-Befruchtung beschlossen. Zudem hat die Koalition als erste polnische Regierung das Amt einer Ministerin für Gleichstellung etabliert, das von einer streitbaren Neue-Linke-Politikerin ausgeübt wird. Auf dem Weg ist nicht zuletzt ein Betreuungsgeld, das für in den Beruf zurückkehrende junge Mütter die Kosten für die Krippe oder eine betreuende Person decken soll.

Konservative bremsen Liberalisierung

Doch wichtige gesetzliche Regelungen sind bislang fern der Umsetzung – vor allem die von der KO und der Linken versprochene Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Dieses gilt seit einer weiteren Verschärfung im Jahr 2020, initiiert durch das von der Vorgängerregierung unter der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) kontrollierte Verfassungstribunal, neben den Regelungen in Malta als das restriktivste in der EU. In den letzten drei Jahren starben mehrere Frauen, weil verunsicherte Ärzt:innen oder ideologisch konservativ geführte Krankenhäuser ihnen trotz immenser gesundheitlicher Gefahren die Abtreibung verweigerten. Auch deshalb ist in den letzten Jahren die Zustimmung zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts deutlich gewachsen. Laut aktuellen Umfragen sind etwa sechzig Prozent der Polinnen und Polen der Meinung, dass Frauen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch haben sollten. KO und NL haben entsprechende Gesetzesvorlagen ausgearbeitet, doch ihr Regierungspartner TD liess die Gesetzeslesungen am 8. März verschieben und will nun ein Referendum abhalten. Auch Staatspräsident Andrzej Duda ist gegen die Liberalisierung des Abtreibungsrechts.

Über Menschenrechte dürfe es keine Volksabstimmung geben, meinen indes Frauenrechtler:innen. Monika Ray von der Stiftung Zentrum für Frauenrechte (CPK) in Posen, einer der ältesten feministischen Organisationen im Land, sagt: «Die Situation war in den letzten Jahren dramatisch. Nun ändert es sich zwar, aber wie wir sehen, wird das Thema Frauenrechte wegen bevorstehender Wahlen wieder einmal auf später verschoben.» Ray spricht von den am 7. April anstehenden Kommunalwahlen. Viele Frauen, so Ray, sagten daher, «dass sie erst dann an wirkliche Veränderung glauben, wenn diese Gesetz werden».

Tote Gesetze

Das Vorgehen bei Gewalttaten sei gesetzlich eigentlich gut geregelt, wendet Lidia Mazowiecka, Leiterin der Warschauer Stiftung für die Unterstützung von Gewaltopfern (FPOP), ein. «Das Problem ist aber, dass die Gesetze tot sind, also im realen Leben nicht umgesetzt werden.» Viele Opfer wüssten nicht um ihre Rechte, und in den vergangenen acht Jahren der PiS-Regierung seien nur wenige Mittel an entsprechende Opferhilfestellen geflossen. Mazowieckas Stiftung hat soeben ein Pilotprojekt beendet, das die Funktion einer Assistenzperson gesetzlich etablieren soll, die Opfer von Verbrechen begleitet. Sie hofft auf das Wohlwollen des Justizministeriums für ihren entsprechenden Antrag.

Im Februar hatte eine Abgeordnetengruppe unter Führung der Neuen Linken ein Gesetz ins Parlament eingebracht, das die Definition von Vergewaltigung zugunsten der Opfer ändern soll. Die bisherige Regelung, nach der das Opfer die Beweislast trägt, geht im Kern auf ein Gesetz von vor rund hundert Jahren zurück. Und im März hat das Justizressort die Anhebung der Mindesthaftstrafen für Vergewaltigungen von zwei auf drei Jahre auf den Weg gebracht. Es war die Reaktion auf die Vergewaltigung und Ermordung der 25-jährigen Liza im Zentrum Warschaus am 6. März. Der Fall hatte in Warschau grosse Proteste ausgelöst. Die Journalistin Martyna Bunda kommentiert im Wochenmagazin «Polityka», Lizas Tod offenbare «das Ausmass der Angst, in der Frauen tagtäglich leben».

Zwei Tage später, am Internationalen Frauentag, standen viele Frauen und Männer auch vor dem Präsidentenpalast. Mit einer Schweigeminute für jene sechs Frauen, die seit 2020 aufgrund des Abtreibungsverbots gestorben waren, protestierten sie für ein liberales Abtreibungsrecht. Damit wollten sie Druck auf Duda aufbauen, damit dieser ein Gesetz unterzeichnet, das Frauen und Mädchen ab dem 15. Lebensjahr den rezeptfreien Zugang zur Pille danach ermöglicht. Ohne Erfolg. Ende März legte Duda sein Veto ein. Dieses will die Regierungsmehrheit nun mit einer Verordnung umgehen. Sie soll am 1. Mai in Kraft treten  – einiges lässt sich also auch gegen den Willen des konservativen Präsidenten erreichen.