Polen: Vom Schläger zum Kümmerer

Nr. 33 –

Polens neuer, rechtsgerichteter Präsident Karol Nawrocki hat einen schnellen Aufstieg hinter sich. Kann er die Regierung von Donald Tusk abstürzen lassen?

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Es spricht Bände, dass die erste Amtshandlung von Polens neuem Präsidenten die Unterschrift unter ein staatliches Investitionsprojekt war. Der 42-jährige Karol Nawrocki, vor einem Jahr noch ein politischer Nobody, fuhr einen Tag nach seiner Amtseinführung am 6. August ins zentralpolnische Kalisz, eine Stadt mit knapp 100 000 Einwohner:innen. Dort signierte er auf dem Marktplatz, in trumpscher Manier, vor begeisterten Anhänger:innen seinen Gesetzesvorschlag zum geplanten neuen Zentralflughafen (CPK) bei Warschau. Das Mammutprojekt war bereits in den letzten Regierungsjahren der nun oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von dieser angeschoben worden. Doch die seit Ende 2023 regierende Dreierkoalition von Premierminister Donald Tusk beschnitt es um seinen sinnvollsten Bestandteil: den mit dem Flughafenbau verknüpften weitreichenden Ausbau des Schienennetzes. Dieses sollte, Fahrradspeichen gleich, auch bislang unterentwickelte Regionen und Städte Polens an die Hauptstadtregion anschliessen. «Endlich können wir das Potenzial ausschöpfen, dass wir geografisch mitten im Herzen Europas liegen», rief Nawrocki in die Menge.

Sozialpolitische und ökonomische Initiativen wie diejenige zum CPK werden der eine Hebel sein, mit dem Nawrocki, promovierter Historiker, die Dekonstruktion der polnischen Regierung und womöglich ihren vorzeitigen Fall noch vor den turnusmässigen Wahlen im Herbst 2027 vorantreiben will. Dazu wird Nawrocki nach Kräften versuchen, auch eigentlich unbestrittene Gesetzesvorhaben Tusks zu sabotieren, um dessen Regierung als handlungsunfähig darzustellen. Und er wird die rechtsnationale Agenda der PiS vorantreiben. So kündigte er bereits an, gegen den Green New Deal sowie den Migrationspakt der EU Referenden zu initiieren, um beide zu verwerfen.

In zwielichtigen Milieus unterwegs

Dass Tusks Parlamentsmehrheit solche präsidialen Referenden, wie auch jeden anderen Gesetzesvorstoss Nawrockis, verhindern kann und meist auch wird, dürfte ihr dabei nur bedingt helfen. Denn die Macht des Präsidenten besteht in Polen, neben seinem Vetorecht gegen Gesetze der Regierung, vor allem darin, qua Amtsautorität Themen zu setzen und die Regierung vor sich herzutreiben. Das dürfte nicht schwer sein bei der aktuellen Regierung, die sich in den vergangenen anderthalb Jahren mitunter selbst blockiert hat – und zentrale Themen nicht voranbrachte oder zurechtstutzte, wie den besagten CPK, drängende Vorlagen in der Wohnungspolitik oder auch die versprochene Liberalisierung des Abtreibungsrechts.

Dass der passionierte Boxer Nawrocki, in der Vergangenheit in Schlägereien verwickelt und in zwielichtigen Milieus unterwegs, überhaupt Präsident wurde, ist daher nach Ansicht vieler Beobachter:innen in erster Linie Tusks Koalition anzulasten. Denn Nawrocki wurde von der PiS als Kontrapunkt zur Regierung lanciert, als einer, der gross(polnisch) denkt und agieren soll – durchaus im Gefolge Donald Trumps, der Nawrocki im Wahlkampf unterstützt hatte und diesen für den 3. September ins Weisse Haus lädt. Nawrocki, dessen Wahlkampfslogan «Polen zuerst» lautete, trat bei seiner Inaugurationsrede im Sejm entsprechend selbstbewusst auf. «Wir dürfen keine Hilfswirtschaft unserer Nachbarn sein», polterte er.

Mit «Nachbarn» war vor allem Deutschland gemeint, das sich seinerseits auf eine Abkühlung der Beziehungen zu Polen und auch auf erneute Forderungen nach Reparationen einstellen kann. Und auch hierbei stand die Tusk-Regierung Pate: Sie selbst verzichtete komplett auf jedwede, auch sinnvolle Forderung – wie etwa die Rückgabe von Raubkunst. Auch gegenüber der Ukraine zeigt Nawrocki eine harte Kante: Er verweigert dem Land den EU- wie auch den Nato-Beitritt, sollte es keine Bewegung Kyjiws bei der Aufarbeitung des Massakers von Wolhynien geben, wo ukrainische Nationalisten 1943 Zehntausende Pol:innen ermordet hatten.

Sozialer als Tusk

Parallel zum kurzen, achtmonatigen Weg Nawrockis aus dem politischen Niemandsland in den Präsidentenpalast nahm der Niedergang von Regierungschef Tusk seinen Lauf. Für viele Beobachter:innen und Medien ist dieser inzwischen Premier auf Abruf. Er könnte schon bald von Aussenminister Radosław Sikorski beerbt werden – und ist entsprechend angreifbar. Die konservativ-liberale Tageszeitung «Rzeczpospolita» kommentierte mit Blick auf Nawrocki: «Dies ist ein Volkspräsident Polens […] Jaroslaw Kaczynskis Intuition hat nicht versagt.» Denn Nawrocki zeigt nicht nur ein Gespür für die breiteren, auch ärmeren Massen. Er verkörpert auch einen nationalen Ehrgeiz, der zugleich egalitärer und sozialer ist als jener der aktuellen Regierung.

Dies kann paradoxerweise zum Hoffnungsanker der Regierung werden: Denn der soziale Zug der PiS und Nawrockis steht konträr zu den marktradikalen Positionen der an Zustimmung gewinnenden nationalistisch-libertären Partei Konfederacja. Deren Wähler:innen hatten im zweiten Wahlgang der vergangenen Präsidentschaftswahlen Nawrocki zum Sieg verholfen. Zwischen der Konfederacja und der PiS deutet sich ein harter Kampf um die Hoheit im wachsenden rechten Spektrum an, von dem Polens Regierung im besten Fall profitieren könnte.