Kritik am Frackinggeschäft: Eine Kohlenstoffbombe in Argentinien
Argentinische Aktivist:innen kritisieren die lasche Politik der Schweiz: Nationalbank und UBS sollen Aktien von Firmen aufgeben, die im argentinischen Frackinggeschäft mitmischen.
Eben erst in Zürich angekommen, sind sie bereits beim Klimastreik mit dabei: Vorneweg am Fronttransparent laufen die drei argentinischen Aktivist:innen am vergangenen Freitag mit rund 2000 Demonstrant:innen bei strömendem Regen durch die Stadt. Orlando Javier Carriqueo ist der Sprecher des indigenen Parlaments der Mapuche aus der argentinischen Provinz Rio Negro, Maria Carolina Llorens ist eine führende Bäuer:innengewerkschafterin aus der Gegend von Córdoba, und die Menschenrechtsexpertin Mariana Katz vertritt als Anwältin immer wieder Indigene im Kampf für den Schutz ihres Territoriums.
Er sei in die Schweiz gekommen, weil seine indigene Gemeinschaft beschlossen habe, ihren Kampf zu internationalisieren, sagt Carriqueo vor der Demonstration. «Wir streiten mit dem argentinischen Staat noch immer um unser Territorium.» Dieser will durch Gebiete der Mapuche eine Ölpipeline bauen. Argentinien verfügt über eines der weltweit grössten Vorkommen an Öl- und Gasschiefer, die Vaca Muerta (siehe WOZ Nr. 5/23). Der Staat will deren Abbau trotz der Klimakrise mithilfe grosser internationaler Konzerne beschleunigen. Vergangenes Jahr hatten der US-Konzern Chevron und der argentinische Konzern Pampa Energía neue Investitionen von zusammen über einer Milliarde US-Dollar in der Vaca Muerta angekündigt.
Umweltaktivist:innen sprechen von einer Kohlenstoffbombe. Der lokalen Bevölkerung drohen wegen des Frackings eine noch stärkere Verschmutzung der Luft und des Trinkwassers sowie mehr Erdbeben. Die neuen Investitionen lohnen sich nur, wenn es auch Pipelines gibt, durch die Öl und Gas an die Atlantikküste transportiert und von dort exportiert werden kann. Dem stehen die Mapuche im Weg. «Die Konzerne können nicht einfach unser Territorium nutzen», sagt Carriqueo und verweist auf die Uno-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker.
Problematische SNB-Aktien
Llorens sagt, ihr sei es wichtig, dass in der Schweiz klar werde, wie sehr die Menschen in Argentinien unter der Nahrungsmittelkrise leiden würden. Eigentlich gebe es genug Flächen, um doppelt so viele Menschen, wie heute im Land lebten, gut zu ernähren. Doch der Staat helfe mit seiner Politik nur den grossen exportorientierten Landwirtschaftskonzernen. Die kleinen Bäuer:innen würden vom Staat nicht geschützt.
In Argentinien leben inzwischen über 57 Prozent der Einwohner:innen unter der Armutsgrenze, der Hunger ist allgegenwärtig: «Viele können sich nur eine Mahlzeit am Tag leisten, die Preise für Grundnahrungsmittel sind so hoch wie in der Schweiz, doch der Durchschnittsverdienst beträgt nur 200 US-Dollar pro Monat», sagt Llorens. Sie will hier in der Schweiz über Nahrungsmittelsouveränität reden, zeigen, dass die grossen Versprechen, dass die Globalisierung allen nütze, nur leere Phrasen sind.
Die Anwältin Mariana Katz sagt: «Es geht nicht nur darum, wie viel CO₂ die Schweiz innerhalb ihrer Grenzen ausstösst, sondern auch darum, wie viel sie über ihren Konsum von Importgütern beiträgt.» Die Schweizer Regierung müsse sich im Rahmen ihrer Klimaanstrengungen mehr darum kümmern, was im Ausland passiere (vgl. «Die Banken haben weiterhin nichts zu befürchten»). «Dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist, gilt global», sagt sie mit Verweis auf das kürzlich gefällte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Schweiz.
Am Mittwoch dieser Woche (nach Redaktionsschluss) waren Katz, Llorens und Carriqueo an der Generalversammlung der UBS in Basel, um die Grossbank aufzufordern, keine Unternehmen mehr zu finanzieren, die im argentinischen Frackinggeschäft mitmischen. Für Freitag ist ein Besuch der Generalversammlung der Schweizerischen Nationalbank geplant. Auch diese hält immer noch viele Aktien von Unternehmen wie Chevron und Shell, die direkt gegen die Klimaziele von Paris arbeiten.
Mit Milei wurde alles schlimmer
Seit der rechtslibertäre Javier Milei im Dezember 2023 Präsident Argentiniens geworden sei, habe sich alles nur weiter verschärft, sagt Carriqueo. «Die Unternehmen, die in Argentinien Rohstoffe abbauen wollen, stehen hinter dem Präsidenten.» – «Und die Regierung nutzt den Hunger als Waffe, um ihnen zu helfen», ergänzt Llorens. So sei die Verteilung von Nahrungsmitteln an die am meisten Betroffenen eingestellt worden. Viele Kleinbäuer:innen seien gezwungen, ihr Land zu verkaufen.
Alle drei erzählen, dass es seit der Präsidentschaft Mileis unsicher geworden sei für jene, die Widerstand leisteten. «Wenn wir eine Sitzung haben, so überlegen wir uns heute immer auch, wie alle wieder sicher nach Hause kommen», sagt Carriqueo. «Die Situation ist ernst», sagt auch Llorens. Kürzlich sei eine Freundin in ihrem Haus überfallen worden. Llorens ist überzeugt, dass die Täter Regierungsanhänger waren. Die Angst vor der Rückkehr der Militärdiktatur geht um. Milei befeuert das, indem er die damaligen Verbrechen relativiert.
Doch der Widerstand gegen die neue Regierung ist nicht gebrochen, das bestätigen alle drei. Im Gegenteil: So ist am 9. Mai ein weiterer Generalstreik geplant, an dem, anders als bisher, nicht nur einzelne Gewerkschaften, sondern Organisationen aus allen Sektoren mitmachen wollen.