Kostenbremse-Initiative: Ein ökonomischer Pfusch
In einem Punkt hat die Mitte-Partei mit ihrer Initiative zur Deckelung der Gesundheitskosten, über die Anfang Juni abgestimmt wird, selbstverständlich recht. Es gibt im Gesundheitssystem zu viel Ineffizienz und zu viele Profiteure, die die Prämien in die Höhe treiben: Krankenkassen, Spezialärzt:innen, Pharmafirmen. Und trotzdem ist die Initiative ein ökonomisch undurchdachter Pfusch. Denn die Kosten würden auch ohne Ineffizienz und Profiteure steigen. Und das ist nicht per se schlecht.
Grund dafür sind nicht nur die alternde Bevölkerung und der medizinische Fortschritt, sondern auch ein Phänomen, das der einstige Princeton-Ökonom William Baumol erforscht hat und das als «baumolsche Kostenkrankheit» bekannt ist: Bei der Herstellung von Gütern wie Computern können die Löhne steigen, und trotzdem werden die Geräte billiger. Denn dank technischen Fortschritts braucht die Herstellung immer weniger Arbeitskräfte. Bei ärztlichen Untersuchungen, psychologischer Betreuung oder der Pflege ist das anders: Auch dort müssen die Löhne steigen, weil sonst niemand mehr diese Arbeit verrichten würde. Da es jedoch kaum möglich ist, Arbeit mit Technik einzusparen, wird Gesundheit im Verhältnis zu Konsumgütern immer teurer.
In Ignoranz dieses Phänomens will die Mitte-Partei die Gesundheitskosten starr an die Löhne koppeln: Steigen die Gesundheitskosten stärker als die Löhne, müssten Sparschnitte folgen. Ohnehin ist zu befürchten, dass die Lobbyist:innen unter der Bundeshauskuppel wie bisher dafür sorgen würden, dass bei der Pflege gespart und Leistungen abgebaut würden, statt dass die Profiteure an die Kasse kämen. Doch angesichts von Baumols Erkenntnissen würde ein solch starrer Deckel irgendwann zwangsläufig zu einer Rationierung der Gesundheitsleistungen führen. Und das, obwohl diese uns enormen Wohlstand bringen.
Womit wir bei einer weiteren ökonomisch undurchdachten Vorstellung angelangt sind, die hinter der Initiative steckt: der Vorstellung, dass uns das Gesundheitswesen irgendwie Wohlstand kostet, der in der Privatwirtschaft erschaffen wird. Ein Unsinn. So wie unsere Kosten für Nahrung, Kleider oder Elektrogeräte – wo es niemandem in den Sinn käme, diese zu beklagen – sind die Kosten für das Gesundheitswesen auf der anderen Seite das Einkommen von Arbeitskräften, die Wohlstand schaffen. Wohlstand, der darüber hinaus auch noch wenig CO₂ ausstösst.
Und wir können uns die Gesundheit auch leisten, wie Baumol mahnte. Wenn wir im Vergleich zur Gesundheit weniger für Konsumgüter ausgeben, heisst das nicht, dass wir uns weniger davon leisten können; sie werden nur vergleichsweise billiger. Das verfügbare Einkommen, das nach Steuern, Abgaben und Prämien den Haushalten im Durchschnitt frei zur Verfügung steht, ist hierzulande seit 2000 von 3700 auf 4500 Franken gestiegen. Das Problem ist nur, dass das Einkommen jener, die gerade etwas mehr verdienen als das ärmste Fünftel, bei 1700 Franken stagniert und wegen der Inflation real gar gesunken ist. Das Einkommen der Haushalte, die an der Schwelle zum reichsten Fünftel stehen, ist dagegen von rund 7100 auf 8400 Franken geklettert. Was es braucht, sind also progressivere Steuern, um einen Teil der Gesundheitskosten jener zu zahlen, die sich diese immer weniger leisten können – so wie das die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP bewirken würde, die ebenso im Juni an die Urne kommt.
Bei der Umverteilung liegt auch der Grund, warum Wirtschaftsverbände und viele Politiker:innen im Gesundheitswesen von Kosten reden, während sie in der Industrie die Umsätze bejubeln, die wir genauso bezahlen: Sie stören sich daran, dass ein Teil über progressive Steuern bezahlt wird. Zudem ist ein Grossteil des Gesundheitswesens Service public, den Wirtschaftsverbände bekämpfen, weil sich damit keine privaten Gewinne erzielen lassen.
Sicher, das Parlament muss die Profiteure des Gesundheitssystems in die Schranken weisen. Mit ihrer starren Bremse bedroht die Mitte-Partei jedoch unseren Wohlstand.