«The Last Socialist Artefact»: Wiederbelebung für eine Turbine

Nr. 19 –

Nostalgie wäre zu einfach: Eine schlaue kroatische Miniserie erzählt vom Erbe des Sozialismus, von Selbstverwaltung und von Korruption in der postjugoslawischen Provinz.

Jovana Stojiljković als Šeila im Film «The Last Socialist Artefact»
Es gebe «Hoffnung inmitten des Niedergangs», sagt Šeila (Jovana Stojiljković). Ihren Job als Kuratorin in Berlin hat sie aufgegeben. Still: Kinorama

Das jugoslawische Partisanenlied «Konjuh planinom» («Auf dem Berg Konjuh») besingt melancholisch, aber kämpferisch die Stimmung, in der ein Partisanentrupp im Zweiten Weltkrieg einen Genossen zu Grabe trägt: «Der Wind rauscht, summt. Das Laub singt traurige Lieder. Kiefern und Tannen, Ahorne und Birken biegen sich zueinander hin.» In der sechsteiligen kroatischen Miniserie «The Last Socialist Artefact» taucht «Konjuh planinom» immer wieder auf, mal gepfiffen, mal gegrölt und im Abspann jeder Folge. Das passt, denn auch hier werden melancholische und kämpferische Töne vereint.

Die Handlung spielt um das Jahr 2010 in der fiktiven kroatischen Kleinstadt Nuštin. Oleg, ein gewitzter Geschäftsmann, und sein Cousin Nikola reisen aus Zagreb an, um die vor zwanzig Jahren stillgelegte Turbinenfabrik wieder in Betrieb zu nehmen: Ein dubioser nordafrikanischer Auftraggeber hat für viel Geld eine Turbine bestellt, wie sie einst in den 1980er Jahren produziert wurde.

Für ihr Projekt spannen die ungleichen Cousins den ehemaligen Ingenieur Janda ein, grandios gespielt vom charismatischen bosnischen Schauspieler Izudin Bajrović. Janda trommelt nicht nur die alte Garde der Fabrikarbeiter, sondern auch eine Truppe aus der perspektivlosen jungen Generation zusammen. Oleg schlägt den Arbeitern und den wenigen Arbeiterinnen berechnend vor, die Selbstverwaltung aus sozialistischen Zeiten wieder einzuführen – «als eine Art Privileg», wie er Nikola sagt, den er zum Fabrikdirektor macht. So wird die Fabrik, nicht ganz ohne Pathos, und gleich danach auch die nahe liegende Kneipe wieder eröffnet. Und die Kleinstadt erwacht zu neuem Leben.

Ein jugoslawisches Projekt

«Područje bez signala» (Gegend ohne Empfang) heisst die Serie im Original, die auf dem gleichnamigen Roman von Robert Perišić basiert (leider gibt es bis heute zwar eine englische, aber keine deutsche Übersetzung). Das triste Leben in Nuštin – im Roman die bosnische Stadt N. – ist von Privatisierung, Deindustrialisierung, Korruption und Arbeitsmigration bestimmt, und so könnte sich die Stadt fast überall in der postjugoslawischen Provinz befinden.

Nicht nur deswegen kann «The Last Socialist Artefact» als jugoslawische Serie bezeichnet werden: Sie entstand in Koproduktion mit einer serbischen und einer slowenischen Produktionsfirma und wurde auch in den Nachbarländern Kroatiens ausgestrahlt; die Schauspieler:innen kommen aus fast allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens.

Die Belgrader Schauspielerin Jovana Stojiljković etwa glänzt in der Rolle von Šeila, die sich als Kuratorin in Berlin versucht hat und erst vor kurzem nach Nuštin zurückgekehrt ist. Sie arbeitete für ihre Rolle, wie sie in einem Interview sagte, lange an der perfekten kroatischen Aussprache. Neben ihr spielen zahlreiche weitere Schauspielgrössen aus der Region. Überragend verkörpert Krešimir Mikić den melancholischen Nikola, dem man auch gerne zuschaut, wenn er zu Hause alleine ein paar Bier trinkt.

Viele gut geschriebene und auch humorvolle Dialoge machen die Serie zu einem Vergnügen; Spannung verleihen ihr zudem mehrere komplizierte Liebesgeschichten und die vorwärtstreibende Handlung. Findet Oleg den während des Arabischen Frühlings verschwundenen Auftraggeber? Wann finden die Arbeiter:innen heraus, dass nur eine einzige Turbine produziert werden soll? Die Verhandlung des sozialistischen Erbes geschieht dabei fast nebenbei. Thematisiert wird insbesondere die jugoslawische Selbstverwaltung, die als Gegenentwurf zum herrschenden kapitalistischen System dargestellt wird: Sie schafft Gemeinschaft und Selbstvertrauen unter den Arbeiter:innen.

#MeToo in Kroatien

«The Last Socialist Artefact» ist das Werk von Regisseur Dalibor Matanić, hierzulande bekannt durch den Spielfilm «Zvizdan – Mittagssonne» (2015), und der Produzentin Ankica Jurić Tilić. Letztere hatte die Idee, den Roman von Robert Perišić als Grundlage für die Serie heranzuziehen, und hat ihn zusammen mit drei Szenarist:innen klug adaptiert. So fokussiert beispielsweise jede Folge auf eine Figur, wodurch diese an Tiefe gewinnt.

Die Serie endet, so viel sei verraten, mit einem vielsagenden Twist, der Hoffnung für die Zukunft der selbstverwalteten Fabrik verspricht. Und Hoffnung ist ein zentrales Thema in «The Last Socialist Artefact». Es gehe in dieser Geschichte, so formuliert es Šeila einmal, in erster Linie um «all diese Hoffnung inmitten des Niedergangs».

Doch auch der Niedergang geht weiter. Vor wenigen Wochen zeigte eine Recherche, dass Dalibor Matanić über Jahre hinweg jüngere Schauspielerinnen sexuell belästigt hatte. Der Regisseur, der sich gerne selbst als Feminist inszenierte, gab die Übergriffe zu, schob die Schuld jedoch auf den Einfluss von Alkohol und Drogen. Klare Worte fand Tihana Lazović Trifunović, die in der Serie Lipša, die Freundin von Oleg, spielt: Matanić habe seine Opfer sehr berechnend gewählt, und er sei leider kein Einzelfall in der kroatischen Filmbranche. Ihre Hoffnung sei, dass nun alle Frauen, die belästigt wurden, hervortreten, ihre Geschichte erzählen und Anzeige erstatten.

«The Last Socialist Artefact». Regie: Dalibor Matanić. Kroatien/Serbien/Slowenien/Finnland 2021. Bis zum 25. Mai 2024 auf www.arte.tv.