Auf allen Kanälen: Gamebranche mit Kapitalismus­problem

Nr. 22 –

Was bedeutet die beispiellose Entlassungswelle in der Videospielindustrie für die Entwickler:innenszene in der Schweiz?

Illustration eines Game-Controllers einer NES-Spielekonsole

Was die Qualität der Veröffentlichungen angeht, war 2024 für die Videospielindustrie bislang kein schlechtes Jahr. Vor allem Indiestudios liessen aufhorchen, zuletzt etwa mit der Aufbausimulation «Manor Lords» eines polnischen Soloentwicklers oder dem verrätselten «Animal Well». Und doch herrscht in der Branche Untergangsstimmung; seit Monaten gibt es eine beispiellose Entlassungswelle. Laut Wikipedia, das zum Arbeitsplatzabbau mittlerweile einen eigenen Eintrag führt, sind seit 2023 weltweit bislang rund 20 000 Jobs gestrichen worden.

Das deutsche Magazin «PC Games» fragte kürzlich in einem Video gar besorgt: «Stirbt die Industrie?» Immer wieder begegnet man Vergleichen mit der grossen Krise Anfang der achtziger Jahre. In der Ära von Geräten wie dem Atari 5200 oder dem Commodore 64 war der Markt spektakulär eingebrochen, nachdem er mit Billiggames geflutet worden war. Erst die NES-Konsole des japanischen Herstellers Nintendo hauchte ihm wieder neues Leben ein.

Kahlschlag bei Microsoft

In der Gegenwart sorgte im Mai die Ankündigung Microsofts für Aufsehen, vier vor ein paar Jahren aufgekaufte Studios wieder zu schliessen. Dabei hatte der Softwaregigant schon Anfang 2024 den Abbau von 1900 Stellen in seiner hauseigenen Videospielsparte (Xbox) verkündet. Der Streamer und Gamejournalist Maurice Weber, kürzlich in Deutschland zum «Computerspieler des Jahres» gekürt, kommentierte den Entscheid des milliardenschweren Unternehmens auf X damals mit den Worten: «Unser System ist so kaputt.»

Was ist also los in der Branche? Zumindest teilweise ist die Entlassungswelle Spätfolge der Pandemie. Während die Regierungen Lockdowns verhängten, herrschte in der Industrie Goldgräberstimmung. Zu Hause sitzend, beschäftigten sich immer mehr Leute mit Games, und der ohnehin schon seit Jahren florierende Markt boomte. Das führte zu spektakulären Übernahmen: So verkündete etwa Microsoft Anfang 2022 die Übernahme des Herstellers Activision Blizzard für knapp siebzig Milliarden US-Dollar.

Mit dem Ende der Pandemie brach die Nachfrage dann aber ein. Parallel dazu, so heisst es immer wieder, seien die Kosten für die Produktion von Videospielen angestiegen: auch wegen der Publikumserwartung, dass ein neues Triple-A-Game Standards in Sachen Grafik und Präsentation – also gerade bei kostspieligen Aspekten der Entwicklung – zu setzen habe. Dass nun Firmen wie Sony, Ubisoft oder Electronic Arts auf sinkende Einnahmen mit Jobabbau reagieren, folgt der herrschenden ökonomischen Logik, Krisen auf die Beschäftigten abzuwälzen.

Immerhin: Die Schweizer Entwickler:innenszene, die aus eher kleinen, unabhängigen Studios besteht, sei davon «nicht ganz so direkt betroffen», sagt Alice Ruppert. «Da bei uns während des Coronabooms niemand Hunderte von Leuten zusätzlich anstellte, werden jetzt auch nicht Hunderte entlassen», so die Präsidentin der Swiss Game Developers Association (SGDA), des Verbands der Schweizer Spieleentwickler:innen. Allerdings litten Studios, die sich über Arbeiten für Werbekunden finanzieren, da es derzeit schwierig sei, neue Aufträge zu akquirieren: Hier sei es schon zu Entlassungen und Schliessungen gekommen.

Rendite für die Shareholder

Das Argument indes, dass die internationale Entlassungswelle Folge einer Kostenexplosion sei, überzeugt Ruppert nicht: «Das ist kein Kosten-, sondern ein Kapitalismusproblem. Die grossen Firmen, denen ihre Shareholder im Nacken sitzen, wollen möglichst grosse Profite erzielen.» Noch immer würde mit Games viel Geld verdient und das Führungspersonal mit Millionenboni belohnt. Die aktuelle Entwicklung ist für die SGDA-Präsidentin Ausdruck eines generellen Missstands in der Industrie: Zu oft würden kurzfristige Profite statt Produktqualität priorisiert.

Letzteres trifft allerdings nicht auf alle Studios zu. Giants Software, Hersteller des weltweit populären «Landwirtschaftssimulators», teilt mit, dass man den Mitarbeiter:innenstamm ausbaue: Die Firma mit Hauptsitz in Schlieren hat für alle vier Niederlassungen neue Stellen ausgeschrieben.