Game: Mit Käfern im Clinch
Gar nicht «cozy» und trotzdem faszinierend: In «Hollow Knight: Silksong» kämpft sich eine Hornisse durch die Fauna des Erdreichs.
Es kriecht und krabbelt hier überall, in der bemoosten Grotte etwa, über der ein märchenhafter Schleier liegt, oder in den engen, durch das Erdreich führenden Gängen, von deren Decken sich Geröll löst. «Hollow Knight: Silksong» ist eine Art Konfrontationstherapie für Leute mit Insektenphobie, oder vielleicht liesse sich das Videospiel auch als Einladung deuten, schon mal eine wahrhaft terrestrische Daseinsform einzuüben – so wie es die ökologische Philosophie will, wenn sie dazu auffordert, zu lernen, die Erde gemeinsam gerade auch mit kleineren Organismen auf neue Weise zu bewohnen.
Menschen begegnet man in dem Indiegame nicht, vielmehr führt es tief unter Tage, wo Würmer, Käfer oder Raupen in zahlreichen Variationen hausen. Manche davon gehen aufrecht, sind sprachbegabt und überhaupt niedliche Erscheinungen. Meist allerdings gestaltet sich das subterrestrische Zusammenleben nicht allzu friedvoll.
«Silksong» ist gerade das Game der Stunde, seit seiner Veröffentlichung Anfang September fasziniert es Millionen – wie schon der Vorgänger von 2017, der noch schlicht «Hollow Knight» hiess. Es handelt sich dabei aber natürlich nicht um ein didaktische Zwecke verfolgendes Biologie-, sondern um ein Action- und Erkundungsspiel. Man übernimmt darin die Rolle einer Heldin namens Hornet. Im Introvideo ist zu beobachten, wie die Protagonistin von Käfern in priesterlicher Aufmachung verschleppt wird, ehe ein mysteriöser Zwischenfall den Gefangenentransport jäh unterbricht und Hornet in die Tiefen eines fantastischen Reichs namens Pharloom stürzt.
Ihrem Versuch, wieder nach oben zu gelangen, stellt sich die lokale Fauna in den Weg. Also schlägt man sich mit einer Nadel bewaffnet durch giftspuckende Raupen oder herumschwirrende Moskitos. Immer wieder bekommt es Hornet mit besonders zähen Gegner:innen oder fordernden Geschicklichkeitsprüfungen zu tun: «Silksong» ist keine Allmachtsfantasie, sondern eine nervenzehrende Geduldsprobe, bei der man viele Tode stirbt.
Wieso muss stets Übles drohen?
Eigentlich boomt derzeit eher das Genre sogenannter Cozy Games – Spiele, die eine Wohlfühlatmosphäre bieten. Man ist also gerade nicht wie in «Silksong» mit einem Bedrohungsszenario konfrontiert, durch das man sich kämpfen müsste. Stattdessen geht es gemütlich (eben: cozy) zu, wie etwa im schon vor fast zehn Jahren veröffentlichten «Stardew Valley», einem Klassiker des Genres: In dem Spiel entflieht man als gestresste Städterin aufs Land, um dort eine alte Farm aufzumöbeln und mit Leuten aus dem Dorf anzubandeln.
Richtig in Gang kam der Trend zum Cozy Gaming mit der Pandemie: Damals verschaffte vor allem das Nintendo-Spiel «Animal Crossing», das ähnliche Register wie «Stardew Valley» zieht, vielen einen Weg, der Realität der Lockdowns zu entfliehen. Seither gibt es kein Halten mehr: Der britische «Guardian» hat kürzlich nachgezählt, dass auf der Plattform Steam 2020 nur 15 neue Titel mit dem Schlagwort «cozy» gelistet wurden, während es 2024 schon an die 400 waren.
Die Zeiten sind rau, die Menschen sehnen sich nach etwas Geborgenheit, und die bieten ihnen immer häufiger Videospiele – so liesse sich schematisch erklären, warum das Genre so viel Anklang findet. Das Reich Pharloom dagegen, von dem «Silksong» erzählt, stemmt sich wacker gegen diesen Trend zur Wellnessoase. Sucht man online nach Kritikpunkten, findet man fast ausschliesslich Klagen darüber, dass das Game den Spieler:innen zu viel abverlange.
Überall Sackgassen
Tatsächlich bietet «Silksong» keine Streicheleinheiten fürs mentale Wohlbefinden, vielmehr herrscht die Devise «Ohne Fleiss kein Preis» – dies allerdings sehr gut austariert. «Auf jeden Moment der Frustration folgen fünf der Erleichterung, des Glücks und sogar der Schönheit», so ein Kritiker im Onlinemagazin «Rock Paper Shotgun» euphorisch. Formal fällt «Silksong» unter die Kategorie sogenannter Metroidvanias – ein Kofferwort aus den das Genre prägenden Spielen «Metroid» (1986) und «Castlevania II» (1987). Schon damals ging es darum, sich durch eine nicht linear aufgebaute Welt zu kämpfen, was den Erkundungstrieb kitzelt: Immer wieder mündet das Abenteuer in Sackgassen, die sich erst später überwinden lassen, wenn anderswo Fähigkeiten oder Gegenstände erworben wurden.
In Sachen Storytelling verdankt «Silksong» wiederum viel dem Rollenspielklassiker «Dark Souls» (2011): Hornets Geschichte wird mittels kryptischer Dialoge oder Beschreibungen von Gegenständen erzählt, die man aufliest. Man muss sich aktiv erschliessen, worum es hier geht, was gezielt dem Medium eigene narrative Möglichkeiten ausschöpft.
Entwickelt wurde das Game von einem nur dreiköpfigen Team aus Australien. Nach «Hollow Knight» war jahrelang ein Nachfolger ersehnt worden, irgendwann wurde es in den sozialen Medien zum Running Gag, dass darüber nichts Neues mehr zu hören war. Der Nachrichtenseite «Bloomberg» erklärte das Entwicklertrio die Verzögerung nun damit, dass das Spiel immer grösser geworden sei, weil die Arbeit daran so viel Wohlbefinden vermittelt habe: «Es ist schön, an etwas zu arbeiten, das Freude macht.»
«Hollow Knight: Silksong» (Team Cherry). Für PC, PS4 und PS5, Nintendo Switch 1 und 2, Xbox One und Xbox Series X/S.