Service public: Ein neuer Pioniergeist für die Post

Nr. 23 –

Der gelbe Riese soll weiter schrumpfen. Gibt es sonst keine andere Ideen? Ein paar Anregungen für die Konzernchefs und den Postminister.

Briefmarke der Schweizer Post zu 150 Jahre obligatorische Volksschule, gestaltet von Nina Wehrle und Evelyne Laube
Die Welt ist bunter und vielfältiger geworden – bei der Gestaltung ihrer Briefmarken hält die Post mit, bei der Anpassung ihres Kerngeschäfts tut sie sich schwer. © Die Schweizerische Post

Sehr geehrte Herren Albert Rösti, Christian Levrat und Roberto Cirillo

Wir sorgen uns um unsere Schweizerische Post und möchten Ihnen einige Gedanken dazu näherbringen, wie diese auch im 21. Jahrhundert eine zentrale Institution bleiben könnte. So wenden wir uns hiermit an Sie, Herr Rösti, der Sie als Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) auch für die Post zuständig sind; an Sie, Herr Levrat, als Verwaltungsratspräsident der Post; und an Sie, Herr Cirillo, als deren Konzernchef.

Vor wenigen Tagen haben Sie, Herr Cirillo, bekannt gegeben, bis 2028 rund 170 der noch 769 bestehenden Poststellen zu streichen. Das stiess nicht überall auf Zuspruch. Die Gewerkschaft Syndicom sprach von einem «Kahlschlag». Ein Abbau der Poststellen bedeute längere Wege für die Bevölkerung, wurde SP-Nationalrat David Roth im «Tages-Anzeiger» zitiert. Das sei umso unverständlicher, als es der Post dank «eines boomenden Paketgeschäfts und starken Erträgen der Postfinance» doch eigentlich recht gut gehe. Aufhorchen liess auch das von diversen Medien verbreitete Gerücht, wonach im Uvek mit dem Gedanken gespielt werde, die A-Post ab 2030 aus der Grundversorgung zu streichen – wobei die Idee aufgrund negativer Reaktionen wieder an Fahrt verloren haben soll.


Nun, sosehr unsere Augen beim Blättern durch die Geschichte der Schweizerischen Post glänzen: Wir sind keine Nostalgiker. Uns ist bewusst, dass immer weniger Briefe geschrieben werden. 2009, als die aktuelle Postgesetzgebung entworfen wurde, erhielt jede:r Einwohneri:n der Schweiz noch durchschnittlich knapp 400 Briefe pro Jahr, 2021 waren es noch halb so viele. Es ist also nachvollziehbar, wenn jetzt über einen neuen Grundversorgungsauftrag debattiert wird. Doch bevor Sie, Herr Bundesrat, voraussichtlich kurz vor den Sommerferien darüber entscheiden werden, wie dieser Auftrag ab 2030 aussehen soll, wollen wir Ihnen ein paar Gedanken mit auf den Weg geben.

Eine Expert:innenkommission unter der Leitung von Altständerätin Christine Egerszegi empfiehlt in ihrem Schlussbericht vom Februar 2022, dass die Post als Teil des Service public künftig vermehrt digitale Dienstleistungen anbieten solle. Gemeint sind damit wohl auch Lösungen in den Bereichen der Gesundheit, des Wählens und Abstimmens sowie der digitalen Identität. Kann man machen. Doch fragen wir uns: Gibt es gerade angesichts der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht auch weitere zukunftsträchtige Aufgaben, die einer modernen Post gut anstehen würden? Bei denen etwa der persönliche Kontakt im Vordergrund steht, gerade auch in eher abgelegenen Gebieten? Oder in Quartieren?

«Durch die gesellschaftliche Teilhabe zu gleicher Qualität und Konditionen für alle sowie die tägliche Zustellung von Brief- und Paketsendungen fördert die Post den Zusammenhalt»: Das sind Worte, sehr geehrter Herr Cirillo, die Sie im Papier «Die Post von morgen» formulierten. Damit knüpfen Sie an die 175-jährige Geschichte der Schweizerischen Post an. Tatsächlich ging es in all diesen Jahren immer auch um Zusammenhalt – nicht in einem engeren nationalen, sondern in einem weiter gefassten gesellschaftlichen Sinn: um eine möglichst sozial gestaltete Kommunikation zwischen den Menschen, unabhängig davon, wie und wo sie gerade leben. Und damit auch: um eine möglichst sozial gestaltete Rolle jener Berufsleute, die diese Kommunikation ermöglichen.

So gesehen hat die Post eine höchst demokratische Funktion. So lange zumindest, wie sie nicht noch weiter privatisiert und anonymisiert wird. Was war das doch für ein Moment, als 1848 mit Artikel 33 in der Bundesverfassung das Postmonopol des Bundes festgelegt wurde! Mit so schönen Sätzen wie: «Die Unverletzlichkeit des Postgeheimnisses ist gewährleistet.» Oder: «Die Tarife werden im ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft nach möglichst billigen Grundsätzen bestimmt.» Vorbei die Zeit, als die Berner Burgerfamilie Von Fischer das Postmonopol weit über den Kanton Bern hinaus ausübte und damit reich wurde.


Letztes Jahr feierte der Bund sein 175-jähriges Bestehen. Kaum erwähnt wurde, dass zu diesem Jubiläum auch die Post gehört. Nun ja, seit 1998 ist sie kein reiner Staatsbetrieb mehr. Und trotzdem: Ein wenig prominenter hätte man das älteste bundesnahe Unternehmen schon feiern dürfen. Als zentrales Element repräsentierte es mit seinen sakral anmutenden Hauptpostgebäuden den Staat im ganzen Land. Und nicht zuletzt war die Post mit ihren Architekturen, Briefmarken und Plakaten von Anfang an auch eine Pionierin des Designs! Und heute? Vor lauter Ramsch, der einem in den auswechselbaren Schalterräumen angedreht werden soll, vergisst man beinahe, dass man sich in einer Poststelle befindet. Ja, die Post muss Geld verdienen. Doch gäbe es in diesen Zeiten nicht genug echte und neue Bedürfnisse, die es als Service public zu erfüllen gäbe?

Was also soll mit all den Räumlichkeiten überall im Land geschehen, aus denen sich die Post zurückzuziehen gedenkt? Nun hat Ihr Konzern, sehr geehrter Herr Cirillo, versprochen, für alle betroffenen Filialen gemeinsam mit den Gemeinden Nachfolgelösungen zu suchen. Auch verspricht die Post, weiterhin ein flächendeckendes Filialnetz mit rund 2000 auf unterschiedliche Weise bedienten Standorten sicherzustellen. Rund 600 davon sollen als eigenbetriebene Filialen das Rückgrat bilden – aber auch diese wolle man zu Dienstleistungszentren weiterentwickeln, «insbesondere zusammen mit Banken, Krankenkassen, Versicherungen sowie Behörden». Über hundert Millionen Franken sollen dafür in den nächsten vier Jahren investiert werden.

Mit Verlaub: Braucht es für eine «Post von morgen» nicht etwas beherztere Visionen? Wieso muss ein Staatsbetrieb seine Filialen ausgerechnet für private Banken und Versicherungen öffnen? Was hat das mit Service public zu tun?


«Ich würde mir wünschen, dass im Postnetz der Zukunft die Pöstlerinnen und Pöstler eine Brückenfunktion wahrnehmen und der Bevölkerung eine Hilfestellung in der Digitalisierung anbieten.» Das Zitat der ehemaligen SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher findet sich im «Weissbuch zur Zukunft der postalischen Grundversorgung» der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete. Womit wir beim entscheidenden Punkt sind: Bestünde nicht gerade jetzt, da es um die Neuerfindung von Poststellen geht, die Gelegenheit, kommunikative Orte zu schaffen, die mehr als rein geschäftliche Dienstleistungszentren sind? Analoge Anlaufstellen für digitale und auch ganz andere Themen, in denen Postangestellte wertvolle Dienste leisten und dafür angemessen honoriert werden? Wäre das, lieber Herr Levrat, nicht auch in Ihrem Sinne, als ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär?

Dazu aber bräuchte es die Wiederbelebung jenes Pioniergeistes, der die Schweizerische Post über viele Jahrzehnte geprägt hat. Gerade in Krisenzeiten! Wie etwa während der beiden Weltkriege, als sie in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz für Kriegsgefangene und Internierte mehrere Hundert Millionen portofreie Sendungen beförderte. Und hat sich nicht jüngst in der Coronakrise, als die Post so viele Pakete wie noch nie zustellte, gezeigt, wie essenziell eine stabile postalische Grundversorgung ist?

Auch in der globalen Klimakrise, lieber Herr Post- und Umweltminister Rösti, könnte die Schweizerische Post eine zentrale Rolle spielen. Zum Beispiel als eine Art Green-New-Deal-Netzwerk, wie es Beat Ringger, zusammen mit SP-Kopräsident Cédric Wermuth Autor des Buches «Die Service-public-Revolution», vorschlägt: Indem sich über die Post zum Beispiel ökosoziale Produkte einkaufen und liefern, die Reparatur von Geräten organisieren, Mahlzeiten oder Produkte der solidarischen Landwirtschaft austragen liessen.

Und warum, geschätzte Herren, lässt man sich nicht auch vom «Klima-Aktionsplan» der Klimastreikbewegung inspirieren und baut ein landesweites Netzwerk von Klimaworkshops in ehemaligen Poststellen auf – in Kooperation mit Schulen, Genossenschaften, Quartieren und als Teil öffentlicher Dienstleistungen? Warum nicht die frei gewordenen Räume als Logistikzentren für Pakete nutzen, die per Velo, Bahn oder CO₂-neutrale Lkws angenommen und ausgeliefert werden?

Sie mögen all das als realitätsferne Spinnereien abtun. Dabei gehen in genau dieselbe Richtung auch Ideen des altehrwürdigen Weltpostverein, der anlässlich seiner Konferenz im Oktober 2023 festhielt: «Der Postsektor ist gut positioniert, um globale Klimaschutzmassnahmen zu unterstützen. Da extreme Wetterereignisse häufiger auftreten, dürften die Forderungen nach emissionsarmen Postdiensten zunehmen. Im Weiteren können die von Postbetreibern verwalteten Vertriebs- und Informationsnetze angepasst werden, um neue Klimadienste anzubieten.»


Klar, ohne substanzielle Unterstützung durch den Bund liesse sich all das nicht realisieren. Von daher ist es eine unglückliche schweizerische Spezialität, dass der Grundversorgungsauftrag der Post nicht direkt subventioniert wird und ihr stattdessen bloss ein reservierter Monopolbereich (Briefe bis zu fünfzig Gramm) zusteht. Vor allem im Hinblick auf die Infrastruktur zeitgemässer Poststellen ist das bedauerlich. Wäre 2004 die Volksinitiative «Postdienst für alle» angenommen worden, sähe es womöglich anders aus: Deren Forderung war es, dass «die Kosten für die Grundversorgung mit Postdiensten, die weder durch Einnahmen aus den reservierten Diensten noch durch Konzessionsgebühren gedeckt sind, vom Bund getragen werden».

Aber vielleicht, lieber Herr Cirillo, machen Sie ja wieder einmal einen kleinen Ausflug aus dem Tessin in eine jener 7000 italienischen Gemeinden mit weniger als 15 000 Einwohner:innen, in denen die Poststellen mit staatlicher Unterstützung zu umfassenden Dienstleistungszentren und Treffpunkten ausgebaut werden. Vielleicht bringt Sie das auf neue Ideen, mit denen Sie Bundesrat und Parlament davon überzeugen könnten, in der Post wieder stärker eine Staatsaufgabe zu erkennen.

Und falls Sie, liebe Herren Rösti, Levrat und Cirillo, nun denken, wir seien halt doch etwas nostalgisch: Unsere Begeisterung für die Post gilt dem visionären, menschenverbindenden Geist, der durch ihre Geschichte weht – und ohne den diese glorreiche Institution keine Zukunft haben wird.

Mit hoffnungsvollen Grüssen

Zwei besorgte Kunden