Schweizerische Post: Levrat braucht die linke Flanke
Als neuer Postchef kann Christian Levrat den Bundesbetrieb progressiv in die Zukunft führen. Damit das gelingt, braucht es aber weit mehr als einen ehemaligen Gewerkschafter an der Spitze.
Es war der politische Paukenschlag der vergangenen Woche: Der fünfzigjährige SP-Ständerat Christian Levrat wird neuer Verwaltungsratspräsident der Schweizerischen Post AG. So will es der Bundesrat, angeführt von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Am 1. Dezember tritt Levrat sein neues Amt an.
Der ehemalige Präsident der SP Schweiz (2008–2020) lancierte seine politische Karriere einst bei der Gewerkschaft Kommunikation (heute Syndicom), die für die Interessen der Postangestellten zuständig war. Nun steht er bald an der Spitze des staatsnahen Betriebs mit rund 39 000 Angestellten und einem Umsatz von über sieben Milliarden Schweizer Franken. «Das Parteibüchlein ist wichtiger als der Leistungsausweis», ätzte die NZZ, und von rechts kam der altbekannte Vorwurf, Levrat verfüge über keine Erfahrungen in der Privatwirtschaft.
«Privatisierung verhindern»
Doch es gibt auch differenziertere Reaktionen im bürgerlichen Lager. CVP-Politiker Stefan Engler, Präsident der ständerätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF), sagt: «Christian Levrat ist klug genug, sich in der neuen Rolle zurechtzufinden und die Interessen und Ziele des Bundes als Eignerin der Post auf der strategischen Ebene umzusetzen.» Er kenne den Anspruch wie auch die Rahmenbedingungen des Service public bestens und sei auch vertraut mit den politischen Prozessen.
Interessanter als die Frage nach den Fähigkeiten ist aber jene nach den Möglichkeiten, die das Amt als Verwaltungsratspräsident für Levrat bringt. Das Unternehmen befindet sich mitten in einer schwierigen Transformationsphase. In den letzten fünf Jahren hat die Post über 4000 Arbeitsplätze gestrichen. Die Nachfrage nach physischen Dienstleistungen in den Kernbereichen Brief- und Zahlungsverkehr ist stark rückläufig, andererseits wachsen die Paketmengen, doch die Margen in diesem Bereich sind tief. Mehrere Versuche, sich als digitaler Dienstleister zu etablieren, sind gescheitert (E-ID) oder zum Scheitern verurteilt (E-Voting), und ob das elektronische PatientInnendossier die Wende bringt, ist äusserst fraglich (siehe WOZ Nr. 2/2020 ). Eine stringente digitale Strategie mit klarem Service-public-Charakter ist bisher jedenfalls nicht erkennbar.
Gerne hätte die WOZ von Christian Levrat erfahren, wo er den dringendsten Handlungsbedarf ausmache und wo er die Post bezüglich ihres Service-public-Auftrags in fünf bis zehn Jahren sehe. Levrat antwortete, er wolle sich nicht vorgreifend zu solchen Fragen äussern, sondern erst nach seinem Amtsantritt.
Bei der Gewerkschaft Syndicom zeigt man sich eher verhalten: «Wir nehmen die Wahl von Levrat zur Kenntnis und gehen davon aus, dass mit seiner Personalie die Stabilität der Sozialpartnerschaft weiterhin gewährleistet ist. Entscheidend für den Service public ist jedoch, was der Bund tut – er muss die Leitplanken für die postalische Zukunft festlegen», sagt Daniel Münger, Präsident der Syndicom.
Der erste wichtige Gradmesser steht gemäss Münger schon bald an: Anfang Jahr hat der Bundesrat entschieden, die Aktienmehrheit des Bundes an der Postfinance abzugeben – die Tür zur Privatisierung der Posttochter steht weit offen. «Eine solche Privatisierung hätte gravierende Auswirkungen und würde zu einer weiteren Verschlechterung der gesamten postalischen Grundversorgung sowie zu unsozialen, höheren Gebühren führen. Um die Zukunft von Postfinance langfristig zu sichern, ist die Aufhebung des Kredit- und Hypothekarverbots mit einer Kapitalgarantie des Bundes notwendig», fordert Münger.
Beat Ringger, ehemaliger Denknetz-Sekretär und Ko-Autor des Buches «Die Service-public-Revolution», sieht zurzeit gute Chancen für progressive Veränderungen bei der Post: «Die Coronakrise hat deutlich gezeigt, wie wichtig die Grundversorgung ist. Logistische Dienstleistungen sowie die Verteilung von Gütern in der Schweiz müssen massgeblich von der Post bewältigt werden, einem Betrieb unter demokratischer Kontrolle», sagt Ringger. Wären private Konzerne für diese Versorgung zuständig, könnte niemand sicherstellen, dass auch die Peripherie zu denselben Tarifen beliefert werde.
Ökosoziale Produkte
Grosses Potenzial sieht Ringger insbesondere im Logistikbereich. «Die Post könnte zu einem Green-New-Deal-Netzwerk werden, auch als Konkurrenz zu Anbietern wie Amazon. Über die Post würden sich ökosoziale Produkte einkaufen und liefern lassen, sie könnte die Reparatur von Geräten organisieren und mit entsprechenden Werkstätten kooperieren oder den Mahlzeitendienst für die Spitex übernehmen. Die Politik müsste diese Infrastruktur natürlich subventionieren», sagt Ringger.
Um eine solche Strategie einzuleiten, brauche es allerdings zwingend politischen Druck von linker Seite. «Ansonsten wird der Handlungsspielraum von Levrat sehr eng bleiben. Wir sollten eine Post-Taskforce gründen, wo die SP, die Grünen, die Gewerkschaften, die Klimabewegung und weitere progressive Organisationen ihre Ideen bündeln und dann politisch vorantreiben.»