Service public: «Der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält»

Nr. 26 –

Die Post wird umgebaut, die SRG-Gebühr gesenkt. SP-Nationalrat und Gewerkschafter David Roth kritisiert die ideenlosen Abbaupläne beim Service public und warnt vor deren Folgen.

Portraitfoto von David Roth
«Röstis Entscheid trägt schon jetzt die Botschaft mit sich: Wenn man dreissig Franken sparen kann, warum nicht auch hundert?»: David Roth.

WOZ: David Roth, noch nicht mal ein Jahr im Nationalrat, sind Sie schon mit grossen Abbauplänen konfrontiert: zuerst die Post, die weitere 179 Poststellen schliesst, und nun Bundesrat Albert Rösti, der die Gebühren für die SRG auf 300 Franken senkt. Ihr bisheriges Fazit?

David Roth: Zuerst zum Poststellenabbau: Dass Zahlungs- und Briefverkehr zurückgehen, ist unbestritten. Aber dass der Paketversand zunimmt, bleibt praktisch unerwähnt. Diesen Wachstumsbereich mit neuen Dienstleistungen zu kombinieren, ist eine grosse Chance.

Wie meinen Sie das?

Japan, eines der weltweit am stärksten digitalisierten Länder, hat pro Kopf etwa doppelt so viele Poststellen wie die Schweiz. Dort wurden diese Stellen als Dienstleistungsplattformen weiterentwickelt, was wir von der Gewerkschaft Syndicom schon lange fordern. Aber wenn die Politik nicht eine klare Erwartungshaltung gegenüber der Post formuliert, dann baut die den Service ab. Schlechter Service ist natürlich billiger als guter Service. Das Geniale am Menschen ist, dass sein Hirn und die Hände mehrere Dienstleistungen vereinen können. Postnetzangestellte sind also günstiger und vielseitiger als die hochdefizitären Paketautomaten, mit denen die Post die Schweiz offenbar zustellen will.

Sie haben im Nationalrat einen Vorstoss zur Rolle der Gemeinden eingereicht. Um was geht es Ihnen dabei?

Dieser Prozess der Poststellenschliessungen ist hochgradig undemokratisch. Die Gemeinden werden komplett überfahren. Die Post kommt und sagt: «Wir schliessen. Jetzt könnt ihr noch schauen, ob ihr beim Finden einer Ersatzlösung kooperativ sein wollt – sonst entscheiden wir, was wir machen.» Mir geht es um mehr Mitspracherechte.

Der ehemalige Gewerkschafter und heutige Post-Verwaltungsratspräsident Christian Levrat verteidigt den Abbau. Er argumentiert unter anderem damit, dass Briefträger:innen künftig weniger belastet seien, weil sie nicht mehr abgelegene Höfe anfahren müssten. Ist das nicht eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen?

Da kennt Levrat die Pöstler:innen schlecht. Die wollen eine möglichst pünktliche und kundennahe Post. Natürlich wäre es für die Post am billigsten, wenn alle Kund:innen ihre Briefe und Pakete persönlich in einem der wenigen Verteilzentren im Land wie etwa Härkingen abholen müssten. Das Prinzip ist aber: Je weiter sich die Logistik von den Leuten entfernt, desto weniger sinnhaft wird sie, desto unökologischer und unökonomischer.

Woher kommt eigentlich Ihre Sensibilität für den Service public in diesen Bereichen?

Service public ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Das wurde mir unter anderem während meiner sieben Jahre beim Luzerner Kultur- und Ausbildungsradio «3fach» bewusst. Damals ging es auch um Gebührenverteilung. Da haben wir erreicht, dass auch wir Privaten einen bescheidenen Beitrag für unsere Leistungen erhalten.

Womit wir bei Röstis Verordnung sind, die Gebühren für die SRG auf 300 Franken zu senken.

Die Vernehmlassung dazu war eine Scharade. Alle waren gegen die Senkung, er macht es trotzdem. Bei der Postverordnung versucht Rösti es genau gleich. Er macht eine Vernehmlassung zu einer Verordnung, aber weil die in der Kompetenz des Bundesrats ist, wird er alles ignorieren, was ihm nicht passt.

Wobei selbst die SRG in einer Medienmitteilung schreibt, man sei froh, dass damit der SVP-«Halbierungsinitiative» Wind aus den Segeln genommen werde …

Falsch, der Bundesrat bläst Wind hinein. Zudem fehlt der Medienbranche insgesamt Geld. Die Absicht ist deshalb, auch private Radio- und TV-Stationen stärker zu beteiligen: Wenn der Kuchen mit der Kürzung für alle kleiner wird, sinkt auch der Teil aus den Serafe-Gebühren, der von der SRG an die privaten Sender geht. Da spielen auch die grossen Verlage eine miese Rolle. Ihr Konflikt mit der SRG ist kleinkariert und staatspolitisch unverantwortlich. Letztlich geht es um das grosse Ganze: Wie können wir die Medienvielfalt langfristig sichern? Röstis Entscheid jedoch trägt schon jetzt die Botschaft mit sich: Wenn man dreissig Franken sparen kann, warum nicht auch hundert?

Warum nicht?

Über jedes einzelne Sendeformat könnte man abendfüllend streiten, aber darum geht es nicht. Es geht ums Gesamtprodukt der SRG, mit dem man sich sowohl über Sport wie auch über die Debatte im Parlament informieren kann. Gute Massenmedien kombinieren immer kritische Berichterstattung mit guter Unterhaltung. Wenn man gewisse Sparten ausscheidet, leidet das ganze Produkt darunter. Die Lücke, die durch die Schwächung der SRG entstehen würde, könnte kaum geschlossen werden, denn alle sind am Sparen. So bestünde die Gefahr, dass uns stattdessen zum Beispiel «Russia Today» die Welt erklären würde. Oder Rupert Murdoch. Es ist absurd, dass die SVP von Souveränität und Unabhängigkeit spricht, aber die Schweizer Meinungsbildung ausländischen Milliardenkonzernen ausliefern will.

Immerhin kommt jetzt mit einer Motion von Ständerätin Isabelle Chassot (Die Mitte) das Thema der Unterstützung für die journalistische Ausbildung in die Vernehmlassung.

Da bin ich eher skeptisch: Warum die journalistische Ausbildung der Verlage öffentlich finanzieren, wenn es für diese Leute kaum noch attraktive Jobaussichten gibt und sie zwei Jahre später in den Kommunikationsabteilungen von privaten Firmen landen? Entweder verbessert ein GAV endlich die Arbeitsbedingungen, oder wir unterstützen so einen Durchlauferhitzer für die PR-Branche. Guter Journalismus bedingt kontinuierliche langjährige Arbeit. Nur so kann er seine Rolle als vierte Gewalt erfüllen.

Was wäre denn Ihre Vorstellung einer sinnvollen Medienförderung?

Letztlich braucht es eine von der jeweiligen Art des Mediums unabhängige Förderung. Reichweite und Qualität messen sich nicht mehr am gedruckten Exemplar. Entsprechend muss sich die Höhe der Förderung an der Zahl der journalistischen Vollzeitstellen ausrichten. Und um die Vielfalt sicherzustellen, müsste sie damit gekoppelt werden, dass, je mehr Angestellte in einem Betrieb arbeiten, desto weniger pro Kopf unterstützt wird. Auch die heutige indirekte Presseförderung gilt ja nur bis zu einer gewissen Auflage. Ich möchte aber gern noch auf ein grundsätzliches Missverständnis in Bezug auf den Service public zurückkommen …

Was für ein Missverständnis?

Ob in der Diskussion über Lokalradios oder Poststellen: Immer wieder wird suggeriert, man werfe irgendwelchen Hinterwäldler:innen noch schnell einen vollen Service public hinterher. Daraus wachsen dann diese Abbaufantasien. Dabei verlangen gerade in den Städten immer mehr Leute zu Recht einen ausgebauten Service public, auch in anderen Bereichen wie etwa der Kinderbetreuung. Die Kanten an den Haltestellen erhöht man nicht nur für Rollstuhlfahrer:innen, sondern auch für Kinderwagen und Rollatoren. Es gibt Service-public-Dienstleistungen, die je nach Lebenssituation, Lebensphase oder eben auch Region mehr oder weniger nötig sind. Also braucht es auch da einen Ausgleich. Egal wo: Es geht um die Nähe des Staates zu den Menschen. Was aus dem Service-public-Abbau wird, sieht man in unseren Nachbarländern. Ein Rückzug des Service public führt zur Entfremdung der Leute von der Gemeinschaft. Rechtsextreme Auswüchse sind auch eine Folge davon. Dieser Effekt wird enorm unterschätzt.

Der Staat als Dienstleister?

Genau, der Staat soll gäbig sein! Die zunehmende Begeisterung für eine Mittelmässigkeit im Service public ist falsch und unschweizerisch. Aber vielleicht rührt sie daher, dass Service public immer Umverteilung ist. Es geht um den gleichberechtigten Zugang zur Gesellschaft für alle: Service public als Schlüssel – für alle nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen.

David Roth (39) begann seine politische Laufbahn 2008 im Luzerner Stadtparlament. Von 2011 bis 2014 präsidierte er die Juso Schweiz. Seit 2016 ist er Gewerkschaftssekretär bei Syndicom, seit 2021 Vizepräsident der SP Schweiz und seit 2023 Nationalrat.