Wichtig zu wissen: Durchwahl in Europa
Ruedi Widmer über die Prämien-Entlastung und die Rechts-Belastung
Bürgenstock-Konferenz: Die Ukraine wollte nicht, dass Russland teilnimmt; Russland nicht, dass die Ukraine teilnimmt. Da sind doch erste Ansätze einer Einigkeit spürbar!
Gross die Enttäuschung bei der Entlastungs-Initiative der SP: Das Bild vom Prämiendeckel war nicht ideal. Ich stellte mir einen Ochsnerkübeldeckel vor, darunter die stinkenden Prämien. Das ist nicht catchy, sondern erinnert einen neben der hohen Prämie auch noch daran, dass man den Müll an die Strasse stellen sollte.
Man hätte aber vom Wort «Prämiendeckel» rasch auf den gewinnenden Namen «Prämiendackel» kommen können. Werbung mit Tieren funktioniert immer. «Der Prämiendackel beisst den Krankenkassenmanagern in den Hintern», gesagt von einem Comicdackel, den es zusätzlich auch als knuddeliges Stofftier für die Kinder gegeben hätte. Überhaupt ist es erstaunlich, dass die Parteien ihre Kampagnen nicht mehr auf Kinder ausrichten. Sie sind die Wählenden der Zukunft und haben enormen Einfluss auf ihre Eltern.
Vielleicht werden Kinder auch einfach aus Angst nicht zu nahe an die Wahlstände gelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Friedrich Merz intellektuell Konkurrenz von den Kleinsten bekommen möchte.
Die Politik traut Kindern keine politische Kompetenz zu. Dabei ist die Jugend in Sachen Politik sehr informiert. Millionen deutscher Sechzehn- bis Achtzehnjähriger sind mit den Tiktok-Filmen von Alice Weidel aufgewachsen und können die deutsche Rechtsnationalhymne, den rassistischen Sylter Grölhit auf Basis von Gigi d’Agostinos «L’amour toujours», mitsingen. Das Amt für Desinformation (AfD) beherrscht Tiktok. Es ist geradezu tragisch, wie die anderen Parteien immer noch auf Vernunft oder Seriosität machen, Prospekte (!) drucken und E-Mails verschicken. Achtzehnjährige können keine E-Mails mehr empfangen.
Warum dürfen wir eigentlich nicht nach Brüssel, denkt sich jetzt manch junger Schweizer, der die Weidel-Filmchen auch kennt und mit Nils Fiechter abhängt. Warum schliesst uns die EU aus? Ist ja klar, warum: Die EU ist eben die EU – eine Elite, die gegen das Volk ist und insbesondere gegen die Schweiz. Im Europaparlament gilt aus Prinzip: «Switzerland zero points» (wie undemokratisch).
Manch strammer Schwiizer aus dem Simmental, der sich noch an Christoph Blocher erinnern und unseren «Gigi von Arosa» singen kann, bereut es nun, dass die Schweiz nicht in der EU ist. Etwas Wehmut umflort ihn. Wie traumhaft wäre es doch, in Brüssel neben den Lepenisten und Melonikerinnen sitzen zu dürfen, so als einfacher SVP-Büezer und Milizparlamentarier! Den Duft der grossen weiten Welt einzuatmen und mit den Tiktok-Stars der AfD in der Rauchpause zu fachsimpeln.
Diese Begeisterung fehlt auf der linken Seite. Links oder liberal Wählende gehören eher einem gebildeten städtischen Mittelstand an und haben oft intensive Moralaufwallungen. Sind sie von ihren Parteien enttäuscht, zum Beispiel den deutschen Grünen, die sich als Regierungspartei zwangsläufig dem Krieg in der Ukraine stellen mussten, wählen sie diese schnell ab und treten rhetorisch auf sie ein oder nehmen sich, wie der beleidigte Macron, gerade selber aus dem Verkehr.
Die Rechten hingegen haben den Machtwillen und wählen ihre Leute konsequent durch, auch wenn diese mit beiden Beinen im Gefängnis stecken oder ihre Spitzenkandidaten wegen Spionage und Korruption zurücktreten mussten (AfD). Rechtswählende zu enttäuschen, ist fast nicht möglich – weil Logik, Wahrheit oder moralische Argumente keine Rolle spielen. Damit fährt die Rechte viel effektiver als die stets zaudernde Linke.
Doch je näher an der russischen Grenze, desto weniger wurden 2024 die rechtsextremen Parteien gewählt – in Schweden, Finnland, Polen. Irgendwie – nun ganz moralisch aufgewallt – gut und back down to earth.
Ruedi Widmer ist Cartoonist im rechtsverrückten Europa.