Europäische Ökosysteme: Kulturkampf ums Klima

Nr. 25 –

Umweltschutz ist überlebenswichtig. Dennoch hat es das EU-Renaturierungsgesetz nur knapp über die Ziellinie geschafft.

Leonore Gewessler hatte das letzte Wort. Mit ihrer Stimme verhalf die österreichische Klimaschutzministerin am Montag dem lange umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz zu einer Mehrheit im Rat der Mitgliedsländer. Eigentlich hatte sich Österreich der Stimme enthalten wollen. Doch bei der Abstimmung entschied sich Gewessler für das Mandat, das ihre Partei, die österreichischen Grünen, von den Wähler:innen bekommen hatte – und damit gegen den Willen der konservativen ÖVP, mit der die Grünen in Wien regieren.

Dadurch kommt das Gesetz, vom EU-Parlament bereits im Februar angenommen, nun auf die nötige «qualifizierte Mehrheit» von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. In diesem Fall sind es 20 Staaten, aber dennoch nur 66 Prozent der Bevölkerung. Dagegen stimmten Finnland, Italien, die Niederlande, Polen, Schweden und Ungarn, Belgien enthielt sich. Unterstützung gab es dafür aus der Slowakei, die lange Bedenken gegen das Gesetz geäussert hatte. Vor dem Hintergrund des dortigen Machtkampfs zwischen pro- und antieuropäischen Kräften ist der Entscheid bemerkenswert.

Mit der Annahme des Gesetzes verpflichten sich die EU-Mitglieder dazu, bis 2030 je ein Fünftel ihrer beschädigten Naturgebiete wiederherzustellen. Bis 2050 sollen es sämtliche gefährdeten Ökosysteme sein. Greenpeace nennt die Abstimmung einen «Meilenstein für Europa» und rühmt Gewessler dafür, Verantwortung für das Gesetz übernommen zu haben. Der mächtige Deutsche Bauernverband wirft ihr dagegen vor, das Ergebnis der EU-Wahl, in der die Grünen fast überall abgestraft wurden, zu ignorieren.

Aus nachhaltiger Sicht gibt es kein vernünftiges Argument gegen das Gesetz, das Teil des European Green Deal ist. 80 Prozent der Lebensräume in der Europäischen Union befinden sich in schlechtem Zustand. 10 Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten sind vom Aussterben bedroht, 70 Prozent der Böden in schlechter Verfassung. Das Gesetz formuliert eine einfache Wahrheit mit dringendem Handlungsbedarf: Umwelt- und Klimaschutz sind kein Luxus oder politisch nachrangiges Hobby, sondern überlebenswichtig. Gehör findet diese Botschaft jedoch immer weniger.

Die Bäuer:innenproteste des letzten Winters postulierten einen vermeintlichen Gegensatz: Klima und Nachhaltigkeit auf der einen Seite, Ernährungssicherheit und wirtschaftliches Überleben des agrarischen Berufsstands auf der anderen. Eine verkürzte Darstellung mit gefährlicher Dynamik. Im europäischen Diskurs hat sich das Bild traditioneller, lokal verwurzelter Landarbeiter:innen, die sich gegen «abgehobene grüne Eliten» zur Wehr setzen, etabliert.

Der monatelange Widerstand von Agrarverbänden und konservativen EU-Abgeordneten gegen das Renaturierungsgesetz ist Ausdruck dieser Entwicklung. Er wurde zum Symbol für die oft bemühte angebliche Klimamüdigkeit in europäischen Gesellschaften und für den Rückhalt, den konservative und rechte Kräfte im EU-Parlament diesem Ressentiment gewähren. Die anfängliche Begeisterung für den Green Deal hat sich auch in der EU-Kommission gelegt. Bis zu den nächsten EU-Wahlen 2029 steht Europa ein Kulturkampf über die Bedeutung der Klimapolitik bevor.

Angesichts der sich ändernden Vorzeichen hat Leonore Gewessler die letzte Chance genutzt, das Renaturierungsgesetz über die Ziellinie zu schleppen. Dass sie damit eine Regierungskrise in Österreich in Kauf nimmt, war ein kalkuliertes Risiko. Dazu gehört, dass die Konservativen ihr vorwerfen, ihre «grüne Ideologie» über die Interessen von Regierung und Bevölkerung zu stellen.

Sowohl in Österreich, wo im September gewählt wird, als auch in den EU-Institutionen spitzt sich die Auseinandersetzung ums Klima zu. Sich deshalb der Stimme zu enthalten, wäre keine Option gewesen. Wohl aber bedarf es von progressiver Seite nun entschiedener Anstrengungen. Nachhaltige, klimagerechte Politik wird es nur geben, wenn der vermeintliche Gegensatz zwischen den Agrarier:innen und der Ökologie entzaubert wird – mit Argumenten und handfesten Massnahmen.