Krieg gegen die Ukraine: Ein gerechter Frieden?

Nr. 25 –

Zum Beispiel Grigorij. Obwohl er mehrfach schwer verletzt wurde und erst mühsam wieder sprechen, lesen und gehen lernen musste, will er zurück an die Front. «Mit den Beziehungen, die ich habe, wird alles wie am Schnürchen laufen. In der Einheit wartet man schon auf mich», erzählt er voller Vorfreude. Grigorijs Schicksal beschreibt Yevgenia Belorusets in einem eindrücklichen wie tragischen Essay in der «Berlin Review». «Aus fast jeder Perspektive sieht der Krieg wie eine radikale existenzielle Entscheidung aus. Er verdrängt die Realität und stellt das Leben im kämpfenden Land als eine grosse Ausnahme dar, als Ausnahmezustand und höchsten Ausdruck von Pathos: als Heldentum», resümiert die Autorin darin.

Zweieinhalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine ist der Heldenmut Ernüchterung gewichen. Während die russische Armee das Nachbarland mit Raketen und Bomben überzieht, in den Städten die Sirenen heulen, werden weiter Leben ausgelöscht, Zukunftshoffnungen begraben. Der Ausnahmezustand, er nimmt kein Ende, der Frieden rückt in immer weitere Ferne.

Am Wochenende versammelten sich auf dem Bürgenstock die Vertreter:innen von hundert Staaten und Organisationen auf Einladung der Schweiz und der Ukraine zur «Konferenz für den Frieden». «Gerecht» müsse dieser Frieden sein, betonten die Staatschef:innen über dem Vierwaldstättersee, fast schon verzweifelt klang das angesichts der düsteren Lage an der Front. Aber was hiesse das überhaupt, ein gerechter Frieden? Und wie könnte dieser Krieg enden?

Eine andere Vorstellung von Frieden kam pünktlich zum Gipfel aus Moskau. «Schon morgen» sei man zu Verhandlungen bereit, sagte Wladimir Putin – sofern sich die Ukraine aus den Regionen Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk zurückziehe. Gebiete, die Putin zwar seit Monaten für sich reklamiert, die seine Armee aber bloss in Teilen beherrscht. Gefordert werden auch die «Entmilitarisierung» der Ukraine, eine Absage an den Nato-Beitritt und ein Regime Change – für die meisten Ukrainer:innen unannehmbar.

Ein Frieden, wie der Kreml ihn skizziert, ist das Gegenteil von gerecht, Diktat statt Selbstbestimmung. Statt einer Perspektive für das kriegsversehrte Land die Aufforderung zur Kapitulation. Dass das Angebot gerade jetzt erfolgte, ist kein Zufall, geht es Putin doch darum, die Unterstützer:innen der Ukraine zu spalten. Auch auf dem Bürgenstock war der Vorschlag aus Moskau Thema: Russland, das seine Teilnahme am Gipfel stets abgelehnt hatte, als grosser Abwesender, der dennoch durch die Konversationen geisterte. Reingefallen sind die Delegationen auf das Täuschungsmanöver nicht: Dass die territoriale Integrität der Ukraine nicht zur Debatte steht, ein Frieden nur dann gerecht ist, wenn er das internationale Recht achtet, machten sie mehr als deutlich.

«Den Krieg einfrieren»: noch so eine Formel, die immer wieder in den hiesigen Debatten auftaucht. Eine instabile Waffenruhe sei immer noch besser als das tägliche Sterben, sagen die Befürworter:innen, und schwiegen die Waffen, könne man über Frieden reden. Verlockend tönt das allemal; für die Ukraine aber wäre es fatal. 2015 wurde der Krieg im Donbas eingefroren. Die Eskalation konnte dies nicht verhindern – im Gegenteil: Das Ende der aktiven Kampfhandlungen verschaffte dem Kreml erst die Möglichkeit zur Aufrüstung. Wie also würde ein gerechter Frieden aussehen?

Mit Inhalt füllen konnten die Gipfelgäste die Floskel nicht. Die westlichen Debatten beschreibt Belorusets als «Entschlossenheit, keine Entscheidungen zu treffen». Die Strategie bestehe darin, abzuwarten, zu schauen, was als Nächstes passiere. Irgendwo gebe es solche einzigartigen Menschen, schreibt sie, «die scheinbar freiwillig bereit sind, ein so unglaubliches Mass an Gewalt, äusserer Aggression, Massensterben und Entscheidungslosigkeit zu ertragen». Menschen wie Grigorij, der rasch zurück an die Front will. Gerecht wäre der Frieden erst dann, wenn die Verzweiflung sich in Hoffnung wandelt. Wenn Grigorij nicht mehr kämpfen muss.

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Kommentare

Kommentar von _Kokolorix

Fr., 21.06.2024 - 19:51

Ein Diktatfrieden wird nur temporär sein, bis eine der beiden Seiten glaubt, militärisch etwas erreichen zu können. Entweder wird die Ukraine versuchen, Gebiete zurückzuerobern, oder russland wird versuchen, noch etwas zu besetzen.
Auch in Israel und Palästina ist trotz etlicher Diktatfrieden in den letzten 80 Jahren, kein wirklicher Frieden eingekehrt.
Wollen wir solche Verhältnisse auch in Osteuropa etablieren?