Medienpolitik: «Albert, das Wort ist dir»
Wohin steuert die Medienpolitik unter Bundesrat Albert Rösti? Aufschluss darüber gibt eine Preisverleihung am rechtsliberalen Luzerner Institut für Wirtschaftspolitik.
Je schlechter die Löhne und die Arbeitsbedingungen im Journalismus, desto zahlreicher und hochdotierter die Preise, die an Medienschaffende verliehen werden. Was sich zunehmend als Branchenregel abzeichnet, bestätigte jüngst das Institut für Wirtschaftspolitik (IWP), als es zum ersten Mal einen Preis für «exzellenten Wirtschaftsjournalismus» vergab. Dotiert mit 30 000 Franken, lässt er die beiden renommiertesten Preise in der Schweiz, den Berner Swiss Press Award (15 000 Franken für einen Hauptgewinn) und den Zürcher Journalist:innenpreis (10 000 Franken), weit hinter sich.
Doch Kosten sind beim privat finanzierten Institut, das der Universität Luzern angeschlossen ist, sowieso kein Thema: Das IWP wird von zwanzig Personen finanziert, die jährlich bis zu drei Millionen Franken spenden (siehe WOZ Nr. 51/21). Den Stiftungsrat präsidiert Alfred Schindler, das Familienvermögen der «Herren der Lifte aus Ebikon» schätzte das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» im letzten Jahr auf zehn bis elf Milliarden Franken. Die Namen der Geldgeber:innen hält die Universität geheim – ein Postulat der SP im Luzerner Kantonsrat fordert ihre Veröffentlichung, die Intransparenz schade der wissenschaftlichen Reputation der Universität. Es ist noch hängig.
Wer das Institut und damit auch den Preis finanziert, ist bei dessen Verleihung an einem Montagabend Anfang Juli aber sowieso kein Thema. Die Gäste in Luzern – in der Mehrzahl grau melierte Herren – versammeln sich zu einem Heimspiel. Nach dem Apéro im Lichthof der Universität bittet IWP-Geschäftsführer René Scheu die Gäste in ein Auditorium, das sich wie ein rechter Safe Space anfühlt. Konsequent verwendet Scheu, der bereits als früherer NZZ-Feuilletonchef den Kampf gegen die Political Correctness aufnahm, das generische Maskulinum und begrüsst den ersten Gewinner des Preises. Es handelt sich um seine frühere NZZ-Kollegin Katharina Fontana.
Im Meer des Meinens
Den Preis verleihe man, um Fakten statt Meinungen zu prämieren, überhaupt wolle das IWP eine «Faktenfabrik» sein im «Meer des Meinens», erklärt Scheu. Wenig überraschend passt der erste Preis perfekt zur rechtsliberalen Meinung des Instituts: Katharina Fontana führt in ihrem prämierten Beitrag aus, dass es fast keinen unerklärbaren Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern gebe. Die Laudatio auf den formal eher gewöhnlichen Tageszeitungstext halten zwei Jurymitglieder, die Fernsehmoderatorin und Autorin Nina Ruge («Leben heute», «Altern wird heilbar») sowie Prof. Dr. Dr. h. c. Lars P. Feld vom ebenfalls rechtsliberalen Walter-Eucken-Institut der Universität Freiburg im Breisgau.
Moderatorin Ruge sinniert darüber, dass sich Journalisten heute ständig fragten, was man denn überhaupt noch sagen dürfe. «Das führt zu Echokammern, aus denen ständig das Gleiche pfeift.» Wobei sich auch am IWP nur eine Platte zu drehen scheint, wendet sich doch auch Professor Feld gegen das «gebetsmühlenartige Nachbeten von falschen Annahmen in der medialen Öffentlichkeit». Der Artikel des Preisträgers Fontana sei im Gegenteil dazu eine «detektivische Entlarvung der Mär von der Lohnungleichheit», lobt Ruge. Begeistert liest sie einige ihrer Meinung nach geniale Textstellen vor. Von einem Boot auf dem Atlantik wird schliesslich die Videobotschaft eines weiteren Jurymitglieds eingespielt, des deutschen Managementtheoretikers Reinhard Sprenger. Auch der prangert einen «Behauptungsdepotismus» an. Viele Gäste im Saal nicken, noch mehr klatschen. Während Sprenger seine Ratschläge vom Schiff aus erteilt, trifft live in Luzern endlich der Stargast des Abends ein: Bundesrat Albert Rösti.
Rösti strotzt in den letzten Monaten vor Selbstvertrauen. Seit seiner Wahl in den Bundesrat Ende 2022 hat der SVPler das Doppelspiel zwischen jovialer Konkordanz in der Regierung und unverbrüchlicher Treue zur Partei perfektioniert: Bei der Abstimmung über den Energie-Mantelerlass wirkte er weniger so, als trete er als Bundesrat gegen die SVP an, sondern als lote er im Wechselspiel mit der eigenen Partei den minimalst nötigen Einsatz gegen die Klimaerwärmung aus. Auch in den Medien erfreut sich Rösti grosser Beliebtheit. Als er zuletzt die Bundeshausjournalist:innen zu einem Spaziergang an den Oeschinensee lud, lieferten sie brav die Bilder, die er sich wohl erhofft hatte: Rösti naturverbunden mit Kuh auf der Titelseite der CH-Medien, Rösti weitsichtig auf einem Felsen über dem Bergsee in der SRF-«Tagesschau» – wobei im Beitrag immerhin noch Umweltschützer:innen seine Politik gegen die Biodiversität und für den Autobahnausbau kritisieren durften.
Dass die Medien die Oeschinen-PR fast alle dankbar übernehmen, hat viel mit fehlenden Ressourcen für richtige Recherchen zu tun. Und auch mit der Medienkonzentration, die sich in einer thematischen Wiederholung des Immergleichen ausdrückt. Offensichtlich will Rösti, der nicht nur Umwelt-, sondern auch Medienminister ist, selbst wenig daran ändern, sondern die Lage noch verschlechtern. Obwohl sich fast die Hälfte der Kantone gegen eine Kürzung der Radio- und Fernsehgebühren aussprach und zahlreiche Kultur- und Sportverbände dagegen opponierten, setzte Rösti diese per Verordnung durch. Die Abgabe soll von derzeit 335 auf 300 Franken sinken, die grosse Mehrheit der Unternehmen davon befreit werden. Rösti will damit der SVP-Halbierungsinitiative den Wind aus den Segeln nehmen, die er einst mitlanciert hat – noch so ein Beispiel für das eingeübte Doppelspiel mit der Partei.
Ein Geben und Nehmen
Was Rösti sonst in der Medienpolitik will, ist schwieriger zu fassen. In einem langen Interview in der Juliausgabe des Branchenblatts «Persönlich» erklärte er: «Die Bevölkerung hat vor zwei Jahren das Medienpaket abgelehnt, was meine Einflussmöglichkeiten stark einschränkt.» Wobei er darüber ganz froh zu sein scheint: «Meine Grundhaltung ist die gleiche, ich glaube, die Medienförderung sollte auf das Notwendige für die Medienvielfalt beschränkt werden.» Die Forderung der Verlage nach einem neuen Anlauf für ein Massnahmenpaket zugunsten der Medien werde es im Bundesrat zudem aufgrund der finanzpolitischen Situation sehr schwierig haben. «Höchstwahrscheinlich sind die Erwartungen grösser als das, was wir leisten können.» Rösti kann, will und darf mutmasslich also nichts tun.
Zurück nach Luzern, wo sich Katharina Fontana nun für den Preis bedankt. Das Wirtschaftsinstitut sei eine «wichtige, treibende Stimme» in der Schweiz geworden. Im Januar traf Fontana Institutsdirektor Christoph Schaltegger denn auch zu einem Interview über zu hohe Sozialleistungen des Staates. «Die Party ist erst einmal vorbei», mahnte der Wirtschaftsprofessor darin. Mutige Medien, führt Fontana nun in ihrer Dankesrede aus, müssten staatskritisch sein, selbst die NZZ könne noch etwas staatskritischer werden. Die Lacher im Publikum sind ihr garantiert. Ob mit Zitaten und Meinungen, Preisen oder Schulterklopfen: Alles hier wirkt wie ein freundliches Geben und Nehmen zwischen IWP und NZZ.
Dann begrüsst Schaltegger den Bundesrat. «Medienvielfalt ist das Elixier in jeder Demokratie», sagt er. Als wesentliches Problem für ebendiese Vielfalt ortet Schaltegger die SRG. Diese würde mit 2,1 Milliarden Franken pro Jahr die privaten Medien konkurrieren. Sanft wird Schaltegger von Geschäftsführer Scheu korrigiert: Es seien bloss 1,2 Milliarden. Schaltegger entschuldigt sich für den «freudschen Versprecher». Die staatlichen Angebote jedenfalls führten zu privilegierten Bedingungen. «Wie weiter also? Der Medienminister wird es erklären», meint er und begrüsst seinen Duzfreund im Bundesrat: «Albert, das Wort ist dir.»
Sparen ohne Not
Auch Rösti lobt zuerst einmal Fontana: «Es braucht Mut, solche Artikel zu schreiben.» Denn heute bestehe die Tendenz, dass die vier grossen Verlage in der Schweiz alles voneinander abschreiben würden. Der politische Spielraum sei nach der Ablehnung des Medienpakets sehr gering, bekräftigt er auch hier. Röstis Blick wandert immer öfter weg von den Sitzreihen zur Seite, wo Schaltegger steht. Fast entschuldigend führt er aus, dass er eine Aufstockung der indirekten Presseförderung unterstütze, weil so auch abgelegene Regionen versorgt werden könnten. Auch zur SRG-Kürzung schlägt er einen rechtfertigenden Ton an. «Das ist schon ein Schritt, nicht nur eine Lappalie oder Kosmetik.»
SP-Nationalrat Jon Pult warnte bereits kurz nach der Wahl von Albert Rösti, dass dieser das Infrastrukturdepartement Uvek für seine Zwecke umgestalten könne, weil im Service public vieles per Verordnung geregelt werde – die Macht des Bundesrats ist deshalb besonders gross. Heute sieht Pult seine Befürchtungen bestätigt, möchte aber nicht Rösti allein die Verantwortung zuweisen. «Er ist ein SVP-Politiker, und entsprechend verhält er sich. Dass er eine SVP-Politik verfolgt, kann man ihm ja nicht vorwerfen.»
Gravierend sei vielmehr, dass ihn die bürgerliche Mehrheit des Bundesrats bei der SRG-Kürzung unterstützte. Was habe sich da nur Viola Amherd gedacht, die als Verteidigungsministerin bei jeder Gelegenheit vor der Gefahr der Desinformation warne? Oder Ignazio Cassis, der ständig den sympathischen Tessiner mime, ausser wenn die Arbeitsplätze bei der RSI auf dem Spiel stünden? Für Pult ist klar: «Das Argument des Bundesrats, er wolle mit der Kürzung die Halbierungsinitiative abwehren, ist vorgeschoben.» Die vergleichbare No-Billag-Initiative sei schliesslich mit mehr als siebzig Prozent abgelehnt worden. «Ohne Not verordnet man der SRG ein rigoroses Sparprogramm.»
Ähnlich sieht es Michael Töngi, Pults grüner Kollege in der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen. «Was Rösti hier bietet, ist Schweizer Pragmatismus auf die schlechte Art.» Der Medienminister sei nicht auf der Höhe der medialen Herausforderungen. «Er glaubt offenbar, das bei der SRG eingesparte Geld wandere zu den privaten Verlagen.» Als ob die Leute mehr Abos bei privaten Medien abschliessen, wenn die SRG weniger Onlinetexte veröffentlichen darf. Dieser Pragmatismus habe eine desaströse Wirkung: Die Medien bräuchten jetzt Unterstützung, ihr Geschäftsmodell über die Werbefinanzierung sei längst an ein Ende gekommen. Doch in Bern spiele man auf Zeit. «Das ist durchaus Taktik.»
Einen kleinen Erfolg immerhin haben die Linken vor der Sommerpause in der Kommission erzielt: Die indirekte Presseförderung für die Zustellung der Lokal- und Regionalzeitungen sowie der Mitgliedspresse wurde von 45 auf 95 Millionen Franken erhöht. In sieben Jahren dann, und das ist ein eigentlicher Durchbruch, soll die Förderung nicht mehr an die Erscheinungsform gekoppelt werden, sondern sich an der Zahl journalistischer Stellen orientieren. Sie soll degressiv ausgestaltet sein, kleine Medienunternehmen sollen also pro Stelle mehr Unterstützung erhalten als grosse. Einziger Wermutstropfen: Die Förderung soll «haushaltsneutral» ausgestaltet sein, mehr Geld für die Medienförderung wird also auch in sieben Jahren nicht vorhanden sein. Pult, der den Vorschlag eingereicht hat, ist mit dem Kompromiss dennoch zufrieden: «Anders hätten wir keine Mehrheit bis hin zur FDP erreicht.»
Bei seinem Auftritt in Luzern gibt Albert Rösti zum Schluss noch preis, welchen Journalismus er für den besten hält: denjenigen, der seine politische Meinung bestätigt. Er habe die NZZ wieder privat abonniert, erzählt Rösti. Zwar wolle er nicht das Kollegialitätsprinzip ritzen – doch der Grund seien Katharina Fontanas Texte gegen das Strassburger Urteil für die Klimaseniorinnen und zur Notwendigkeit eines Ständemehrs bei einer Abstimmung über weitere EU-Abkommen.
Man sitzt also in der Regierung. Oder erhält Millionen für sein Privatinstitut. Man schreibt für einen der grössten Titel des Landes. Und definiert mit einem hochdotierten Preis, was Wirtschaftsjournalismus sei. Dennoch wähnen sich hier alle, im Auditorium vereint, einer kleinen, radikalen Minderheit zugehörig. Auch Albert Rösti ist warmer Applaus sicher.