Erbschaftssteuer: Milliardäre unter Artenschutz
Die Juso will Erbschaften über fünfzig Millionen höher besteuern. Das bringt die Superreichen in Wallung – und eine gehässige Debatte in Gang.
Mirjam Hostetmann ist nicht zu beneiden. Es ist noch keine zwei Wochen her, seit die 24-jährige Obwaldnerin zur neuen Juso-Präsidentin gewählt wurde, und schon weht ihr ein heftiger medialer Empörungssturm entgegen. Sie und ihre Partei seien «Kommunisten, die Unternehmen enteignen wollen», oder «Raubritter im rot-grünen Mäntelchen», so die gehässigen Schlagzeilen Anfang dieser Woche.
Der Grund der ganzen Aufregung ist ein Anliegen der Juso, das frühestens nächstes Jahr, allenfalls auch erst 2026 zur Abstimmung kommen wird: die «Initiative für eine Zukunft». Diese verlangt eine Steuer von fünfzig Prozent auf Erbschaften ab fünfzig Millionen Franken. Bei den Superreichen sorgt sie längst für rote Köpfe – und nur sie wären bei einer Annahme auch wirklich betroffen. Die Juso geht von rund 2000 Personen aus, die höher besteuert werden würden – eine Schätzung, die Expert:innen wie der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart für plausibel halten.
Spuhlers Krokodilstränen
Die Empörung über die Juso-Initiative wirkt zuweilen wie orchestriert; neu ist sie nicht. Bereits Ende April durfte sich der Multimillionär und ehemalige Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser in der SRF-Sendung «Rundschau» als «Schweizer Familienunternehmer» inszenieren und den drohenden Untergang dieser Gattung durch die Juso-Initiative heraufbeschwören. Dabei ist Noser Chef eines international ausgerichteten IT-Konzerns und lebt mittlerweile im steuergünstigen Kanton Schwyz. Zwei Monate später doppelte Noser in der «SonntagsZeitung» nach: Er forderte das Parlament auf, die Initiative zumindest teilweise für ungültig zu erklären, um einen «Massenexodus der Superreichen» zu verhindern.
Der vorläufige Höhepunkt der medialen Aufregung folgte dann letztes Wochenende: Die Juso zwinge ihn auszuwandern, klagte, ebenfalls in der «SonntagsZeitung», der Milliardär und Bahnunternehmer Peter Spuhler. Bei einer Annahme der Initiative müsse er «bis zu zwei Milliarden Franken abliefern», sein Vermögen stecke zu fast hundert Prozent in seinen Firmen, sagte der Thurgauer, der lange für die SVP im Nationalrat gesessen hatte. Die Konsequenz: Er müsse sein «traditionelles Familienunternehmen» – es pflegt unter anderem enge geschäftliche Beziehungen mit dem belarusischen Diktator Aljaksandr Lukaschenka (siehe WOZ Nr. 34/20) – «ins Ausland verscherbeln».
Es war dieses Gefälligkeitsinterview, auf das die neue Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann mit einem Tweet in Richtung des Milliardärs reagierte und die eingangs erwähnte Entrüstung auslöste. Hostetmann ist anderes wichtig: «Unsere Initiative ist dank des hohen Freibetrags so konzipiert, dass KMUs nicht betroffen sind», sagt sie. Mit der Selbstdarstellung als «Familienunternehmen» versuchten die «Patrons» Spuhler und Noser zu vertuschen, dass es sich bei ihren Firmen eigentlich um Grossunternehmen handle – und bei jenen, die zur Kasse gebeten würden, vor allem um Leute wie den Multimilliardär und ehemaligen Glencore-CEO Ivan Glasenberg. Für die harschen Reaktionen sieht Hostetmann aber auch noch ein anderes Motiv: «Die Gegner:innen versuchen offensichtlich, von der Klimathematik abzulenken, die ein Kernstück unserer Initiative ist.» Stattdessen würden sie von «Enteignung» reden.
Eine geschickte Verknüpfung
Tatsächlich liegt hier die grosse Stärke der Juso-Initiative: Sie will einerseits die aktuell riesige Vermögensungleichheit reduzieren – in der Schweiz besitzt das reichste Prozent gemäss Eidgenössischer Steuerverwaltung fast 45 Prozent aller Vermögensanteile, das oberste Zehntel fast 80 Prozent. Auf der anderen Seite sollen die Einnahmen der neuen Steuer – die Juso beziffert sie auf sechs Milliarden Franken pro Jahr – in die Bewältigung der Klimakrise und einen ökosozialen Umbau investiert werden, in den Ausbau erneuerbarer Energien etwa oder in nachhaltige Gebäudesanierungen.
In dieser Verknüpfung liegt denn auch die grosse Differenz zur letzten Erbschaftssteuerinitiative aus dem Jahr 2015: Sie war als Finanzierungsinstrument für die AHV angelegt, die Steuerschwelle deshalb bei Vermögen ab zwei Millionen Franken angesetzt – und hätte einen weitaus höheren Anteil der Gesamtbevölkerung betroffen. Das Anliegen, hinter dem SP, Grüne, EVP und die Gewerkschaften standen, erreichte an der Urne nicht einmal dreissig Prozent Ja-Stimmen.
Bleibt zu hoffen, dass sich die aktuell völlig verrutschte Debatte rasch in eine andere Richtung bewegt: weg vom Artenschutz für die Milliardäre hin zu deren Verantwortung für die Klimaerwärmung. Im November hat eine Oxfam-Studie aufgezeigt, wie extremer Reichtum die Klimakrise weltweit verschärft: Das reichste Prozent der Weltbevölkerung verursacht so viele klimaschädliche Treibhausgase wie die fünf Milliarden Menschen, die die ärmeren zwei Drittel ausmachen. Oxfam fordert deshalb «die Einführung von geeigneten Steuern, um Billionen von US-Dollars aus den Händen von Unternehmen und Superreichen zur Finanzierung der klimafreundlichen und sozial gerechten Transformation» einzusetzen. Noch bleibt mehr als genug Zeit für eine solche Debatte.