Literatur: Im Dickicht des Lebens

Wer wissen will, wie der Hase läuft, muss wissen, woher er kommt, hat Teresas Grossvater ihr immer gesagt. Entsprechend besessen ist die Protagonistin von Rebekka Salms Roman «Wie der Hase läuft» von der Vergangenheit: Teresa spinnt Hintergründe zu den Möbeln der Brockenstube, in der sie arbeitet, und versucht, die Lücken ihrer Familiengeschichte zu füllen. Ihr Partner Mirco dagegen will vom Gestern nichts wissen.
Doch da ist seine Grossmutter, deren erster Mann von einem Soldaten erschossen wurde, der Wede hiess – wie Teresas Grossvater, der im Krieg war. Da ist Mircos Mutter, die in derselben Nacht angefahren wurde, in der Teresas Vater betrunken heimfuhr und die Familie verliess. Ein immer dichteres Netz aus Zusammenhängen entfaltet sich vor Teresa, je mehr sie in den Geschichten gräbt.
Wie schon in ihrem fulminanten Debüt, «Die Dinge beim Namen», zeichnet Salm ein Panorama verschlungener Lebensgeschichten mit der unvergleichlichen Fähigkeit, in wenigen, kurzen Sätzen die Grausamkeiten patriarchaler Gewalt einzufangen: «Wede hatte sich geweigert. Der Vater aber war Tischler. Er löste Probleme mit Holz.»
Die Figuren sind geprägt von schmerzhaften Lücken in ihren Leben, die sie verschweigen, um ihr Gesicht zu wahren. Doch das Vertuschen ihrer Traumata, ihrer Queerness oder der ungeklärten Verwandtschaftsverhältnisse führt nur zu noch mehr Schmerz. «Erzählen ist Verstehenwollen», sagt Teresa. Schnell scheinen die Zusammenhänge, die sie aufdeckt, jedoch fast zu gut zu passen – und sie wird als Erzählerin unzuverlässig: Ist das alles tatsächlich so passiert? Oder ist es Teresa, die diese Geschichten erfindet?
Der Hase zieht sich wie eine hakenschlagende Spur durch das Buch: als Feigling, als schlaues Fluchttier, als Kosename. Mit einem unendlichen Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen widmet sich Salm den Rissen unserer Gesellschaft, die Verletzlichkeit nicht zulässt. Das zentrale Thema ist dabei letztlich das Geschichtenerzählen selbst.