Das Wetter: «So als blickte man auf die Börse»

Nr. 29 –

Warum die Wettermodelle zwar immer besser werden, die Entwicklung eines Gewitters aber trotzdem schwer vorhersehbar bleibt, erklärt der Atmosphärenphysiker Oliver Fuhrer von Meteo Schweiz.

WOZ: Herr Fuhrer, Sie sind aktuell in den Bergen in den Ferien. Wie sehen Ihre Pläne für die nächsten Tage aus?

Oliver Fuhrer: (Lacht.) Die sind voll ins Wasser gefallen. Wir wollten mit unseren Kindern auf die Alp Mora, dort kann man in Gletschermühlen baden. Um dorthin zu gelangen, muss man weit im Voraus einen Bus reservieren, was wir für morgen gemacht haben. Doch jetzt sieht das Wetter gar nicht gut aus.

Es ist seit Wochen frustrierend, wenn man versucht, die nächste Bergtour zu planen oder nur schon den Grillabend am Wochenende. Spielt das Wetter verrückt, oder sind die Apps einfach unzuverlässig?

Erst mal sind solche Sommergewitter, wie wir sie aktuell erleben, nicht untypisch. Aber ich bin kein Meteorologe im eigentlichen Sinn, sondern verantwortlich für die Entwicklung von Wettermodellen. Ich stelle die Basisinformationen zur Verfügung, die nachher in einer Wetter-App weiterverarbeitet werden. Gerade im Sommer ist es extrem schwierig, Gewitter punktgenau vorherzusagen.

Portraitfoto von Oliver Fuhrer
Oliver Fuhrer, Atmosphärenphysiker

Warum ist das so?

Das Wettersystem hat auch eine chaotische Komponente. Eine Gewitterzelle kann sich sehr rasch entwickeln, ausgelöst etwa durch einen Aufwind an einem Hang. Solche Dynamiken lassen sich in Modellen zwar darstellen, aber die Varianten, wie sie sich entwickeln könnten, sind so zahlreich, dass man nur sagen kann, in welchen Regionen ein Gewitterrisiko besteht. Es genügt, die Anfangsbedingungen oder die Modellparameter ein klein wenig abzuändern, und das Resultat ist ein total anderes, die Gewitterzellen rauschen an völlig anderen Orten durch. Deshalb rechnen wir nicht nur eine Prognose durch, sondern 21 unterschiedliche. In der App sieht man dann die wahrscheinlichste Entwicklung. Man sieht aber auch die Unsicherheit, abgebildet in den fein gestrichelten Hintergrundbalken. Heute etwa sind die sehr hoch, und die Wetterentwicklung ist entsprechend unsicher.

Was bedeuten diese Balken konkret?

Hier in Laax könnte es heute zu heftigen Gewittern kommen – je nach Entwicklung ziehen die Gewitterzellen aber auch vorbei. Es ist wichtig, dass die Leute auf diese Unsicherheitsbalken in der App achten, denn wer nur auf die wahrscheinlichste Entwicklung schaut, hat, je nachdem, Pech. Statistisch gesehen spielen sich neunzig Prozent der Fälle innerhalb dieses Bereichs ab. Aber welche dieser Entwicklungen die Natur dann tatsächlich wählt, wissen wir nicht.

Kommt in der App von Meteo Schweiz bereits das neue Prognosemodell Icon zum Einsatz, das Sie mitentwickelt haben?

Icon ist im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit entstanden, an der auch die ETH Zürich und der Deutsche Wetterdienst beteiligt sind. Seit Ende Mai ist es aufgeschaltet, das alte Modell lassen wir aber bis Ende August noch parallel dazu weiterlaufen. Die App von Meteo Schweiz läuft grösstenteils schon auf dem neuen Modell.

Und ist sie deswegen jetzt auch präziser?

Ich versuche immer, die Erwartungshaltung etwas zu dämpfen. Es geht hier nicht um eine Revolution, sondern um eine Weiterentwicklung. Ein Wettermodell ist eine hochkomplexe Angelegenheit mit Millionen Zeilen an Programmcode. Im Prinzip sind wir wie bei einer Software, die nicht mehr unterstützt wird, auf eine neue Version umgestiegen. Das ist ein sehr aufwendiger Prozess, mit dem wir die Grundlage für weitere Verbesserungen legen.

Was genau macht das neue Modell denn besser?

Grundsätzlich stellt ein Wettermodell Prozesse in der Natur auf dem Computer dar. Man könnte also sagen, dass die Natur präziser dargestellt wird. Das geschieht mittels mathematischer Gleichungen, die ein Computer löst. Dazu legt man ein Rechengitter wie ein Schachbrett über die Schweiz und berechnet für jedes Feld einen Wert für Druck, Temperatur, Niederschlag, Wind … Je kleiner dieses Feld ist, desto präziser die Prognose, was gerade für die komplexe Topografie der Schweiz ein grosser Fortschritt ist. Wir sehen jetzt viel besser auch in kleine Bergtäler hinein.

Inwiefern verändert die Klimaerhitzung die Arbeit von Meteorolog:innen?

Die Klimaerhitzung führt zu häufigeren Extremereignissen, was die Nachfrage nach präzisen Vorhersagen und Warnungen erhöht. Zudem erfordert das gestiegene öffentliche Interesse eine fundierte Einordnung klimatischer Veränderungen.

Aber beeinflusst die Klimaerhitzung auch die Prognostizierbarkeit von Wetterlagen?

Nun, die Wettermodelle basieren auf Physik – und die verändert sich nicht. Wenn Klimamodelle auf Statistik basieren würden, also auf Daten aus der Vergangenheit, dann wären Prognosen in Zukunft oft schwierig zu machen. Aber wir bilden mit unseren Modellen physikalische Prozesse ab, die sich auch künftig genau so abspielen werden. Deshalb gehe ich nicht davon aus, dass die Klimaveränderung einen Einfluss auf die Leistung der Modelle haben wird. Aber man darf den menschlichen Faktor nicht vergessen: Wenn ein Modell etwas noch nie Dagewesenes vorhersagt, fällt es vielen schwer, dieser Prognose tatsächlich zu vertrauen.

Zum Beispiel im Fall von Extremwetterereignissen?

Genau. Die Klimaerhitzung führt zu häufiger auftretenden extremen Wetterphänomenen, wie wir es aktuell auch in der Schweiz erleben. Viele Menschen tendieren allerdings dazu, eine meteorologische Warnmeldung auf der Basis des früher Erlebten einzuordnen. Es ist also weniger so, dass die Prognose des Modells nicht stimmt, als dass es den Menschen aufgrund ihrer Erfahrung schwerfällt, der Prognose zu glauben. Und gewisse Extremwetter wie jener verheerende Sturm, der vor einem Jahr über La Chaux-de-Fonds fegte, sind so lokale Phänomene, dass ihre Prognose eine Herausforderung bleibt.

Täuscht der Eindruck, oder ist das Wetter ein emotional viel stärker aufgeladenes Thema als noch vor zehn Jahren?

Das fällt mir schwer zu beurteilen. Sicher ist: Immer mehr unserer Outdooraktivitäten hängen essenziell von Wetterinformationen ab. Es ist ein Thema, das die Leute bewegt. Das fällt mir auch als Tourenleiter des Schweizer Alpen-Clubs auf. Früher war die Wetterprognose einfach ein Element, heute schaut man auf die Prognose, als blickte man auf die Börse: Man misst ihr mehr Wert zu als der Realität. Wenn die Leute sehen, dass die Prognosen schlecht sind, sagen sie ihre Übernachtung in der Berghütte ab.

Die Leute bereiten sich mit der Wetter-App vor und sind dann frustriert, wenn die Prognose falsch war.

Ich sehe es natürlich als positive Entwicklung, wenn sich die Leute auf die App stützen – es bedeutet ja auch, dass die Prognosen, die Qualität der Informationen allgemein besser geworden sind und die App in vielen Fällen funktioniert.

Wagen Sie eine Prognose für alle, die ihre Sommerferien in der Schweiz verbringen?

Jetzt führen Sie mich aufs Glatteis. Die App gibt grundsätzlich Prognosen auf sieben Tage hinaus, hinzu kommen saisonale Einschätzungen – aber das ist definitiv nicht mein Zuständigkeitsbereich.

Und Ihr Tipp als Berggänger: Wo und wie orientiert man sich am besten, wenn man eine Tour plant?

Das Angebot an Informationsquellen ist riesig. Viele tendieren dazu, unterschiedlichste Quellen miteinander zu vergleichen, und wenn eine davon schönes Wetter voraussagt und es dann trotzdem regnet, ist man frustriert. Mein Tipp: Egal welche App man verwendet, die allermeisten bieten viel mehr Informationen als die Symbole, die man auf der Oberfläche findet. Es lohnt sich daher, mit einer einzigen App zu arbeiten und sich intensiver mit ihr auseinanderzusetzen. Auf dieser Basis fällt man bessere Entscheide.

Oliver Fuhrer (48) leitet die Abteilung Numerische Modelle bei Meteo Schweiz und ist zudem am Center for Climate Systems Modeling der ETH Zürich tätig.