Ein Traum der Welt: Kunst im Verkehr
Annette Hug fährt weiterhin Jeepney
Manila wird weniger bunt sein, dachte ich bei der Ankunft am 30. Juni. Keine fahrenden Bilder mehr auf der Karosserie der Jeepneys, verschwunden die bunt gemalten Geschichten: siebzig chinesische Räuber und eine Königin, ein fliegender Schimmel erhebt sich aus Feenhand, und immer weint die Jungfrau Maria. Seit Monaten hat die Regierung das Datum für den endgültigen «Jeepney-Phase-out» wiederholt: den 30. April 2024.
Die typischen Sammeltaxis der Philippinen werden aus einfachen Bestandteilen im Land gefertigt und dann bemalt. Man sitzt seitlich aufgereiht, ein offenes schmales Fenster im Rücken. Die Dieselmotoren hüllen die Strassen in schwarzen Rauch. Sämtliche Versuche, den Fahrern dieser Jeepneys und ihren Passagier:innen das Konzept «Haltestelle» aufzudrücken, sind gescheitert. Auch auf vielspurigen Strassen hält ein Fahrer da, wo jemand ruft: «Bitte halten.» Man ist im Gespräch, reicht das Fahrgeld durch die Reihen, und das Retourgeld wandert von Hand zu Hand. Kein Cent geht verloren. Der Fahrpreis hat sich in zehn Jahren fast nicht verändert. Aber der Ölpreis und die Lebenskosten sind stark gestiegen. Die Regierung gibt Preise vor, vergibt Lizenzen für bestimmte Strecken, überlässt die Feinorganisation mafiösen Entitäten.
Per 30. April 2024 wären eigentlich nur noch Lizenzen für Fahrzeuge gültig, die aktuellen Umweltvorschriften entsprechen. Der Phase-out lässt sich aber nicht durchsetzen. In ruhigeren Stunden kann man sich vorne neben einen Jeepneyfahrer setzen und erfährt, wie die ökologische Transformation ganz bestimmt nicht funktioniert: Neue Standards vorschreiben und den Fahrern sagen: «Ihr müsst euch halt zu Genossenschaften zusammenschliessen, dann könnt ihr gemeinsam Geld aufnehmen und neue Fahrzeuge kaufen.» Aber das sind keine «neuen Jeepneys», das sind Kleinbusse mit komplizierten Apparaturen und Klimaanlage, die kann niemand mehr selber flicken, sind ja importiert, wer soll diese Reparaturen bezahlen? Und überhaupt: Für die Raten der Abzahlung reichen die Einnahmen nicht, und wenn einer einen Unfall baut, dann wird der ganzen Firma die Lizenz entzogen, du kannst dich nicht wehren. Wenn du kein Geld hast, kommst du bei den Gerichten nirgends hin, nur grosse Geschäftsleute machen jetzt Genossenschaften, die haben das Geld für die Investition, die Regierung hilft uns überhaupt nicht, also fahren wir einfach weiter, solange uns niemand stoppt und solange die Passagiere nicht alle umsteigen.
Die Konkurrenz wächst. Die neuen Busse sind bequemer, und Klimaanlagen filtern auch Abgase, man sei weniger erschöpft am Abend, sagt eine Angestellte, die täglich drei Stunden im Verkehr verbringt. Gefährlich werden den Jeepneys auch Motorradfahrer:innen, die ihren Hintersitz über Apps vermieten, die wie Uber funktionieren. Man setzt sich einen Helm auf, hält sich am Fahrer fest und rauscht für wenig Geld zwischen den stehenden Kolonnen durch die Stadt.
Und die Kunst? Ein Schriftsteller behauptet folgenden Zusammenhang: Sobald die Fahrer nicht mehr ihre eigenen Fahrzeuge besitzen, ist es vorbei mit der bunten Bemalung. Dann gibts Corporate Identity, und die ist öde. Die Kombination von grünem ÖV, sicheren Arbeitsplätzen und anarchischer Kunst ist noch nicht erfunden.
Annette Hug ist Übersetzerin, und Manila hat schon wieder andere Probleme: Sturmfluten haben Brücken weggeschwemmt, und die Frage ist nicht, ob Jeepneys weiterfahren, sondern welche Strassen passierbar sind und was mit dem Ölteppich vor der Küste passiert.