Linkspartei in der Krise: Scheitern als letzte Chance

Nr. 34 –

Die deutsche Linkspartei sucht eine neue Führung – und sollte endlich Einigkeit schaffen. Das bedeutet, bei umstrittenen Themen Klarheit zu finden. Zeit dafür hat sie aber kaum mehr.

Kurz vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen geht es bei der krisengeplagten Partei Die Linke nicht um Inhalte, sondern um Personal. Die Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan haben am vergangenen Wochenende erklärt, beim Parteitag Mitte Oktober nicht erneut kandidieren zu wollen. Der Zeitpunkt mutet irritierend an, die Entscheidung an sich ist aber nicht überraschend. Sie galt seit Wochen als zwingend.

Seit den katastrophalen Wahlergebnissen bei den Kommunal- und den Europawahlen im Juni war das Duo Wissler und Schirdewan angezählt. Mehrere prominente Linke-Politiker:innen, wie etwa die Ostberliner Langzeitparlamentarierin Gesine Lötzsch, hatten im Nachgang dieser Wahlen die Parteiführung offen kritisiert – die Schwerpunktsetzung sei falsch gewesen, das friedenspolitische Profil zu schwach, die Platzierung der Seenotretterin Carola Rackete auf Platz eins der Wahlliste an den Wähler:innen vorbeigegangen. Auch wenn nicht alle so hart mit ihnen ins Gericht gingen – ausreichend Unterstützung gab es für Wissler und Schirdewan nicht mehr.

Frohe Botschaften

Die beiden hatten die gemeinsame Führung der Linken im Juni 2022 auf dem Höhepunkt des langjährigen Grosskonflikts mit dem Flügel um Sahra Wagenknecht übernommen, der die Partei jahrelang ausgezehrt hat. Seit der Spaltung im Herbst vergangenen Jahres ist es der Partei nicht gelungen, wieder auf die Beine zu kommen – im Gegenteil. Die Linke ist in einer gefährlichen Abwärtsspirale gefangen: Auf Bundesebene gemäss Umfragen zur Splitterpartei weit unter die Fünfprozenthürde geschrumpft, von früheren wie potenziellen Unterstützer:innen nicht ernst genommen und programmatisch verblasst, siecht die Partei dahin.

Ob sie überleben wird, wird sich wohl in rund zwölf Monaten entscheiden – dann finden die nächsten Bundestagswahlen statt. Verliert sie dort ihre Abgeordnetenmandate, dürfte das endgültige Abrutschen unter die Wahrnehmungsgrenze unvermeidlich sein.

Im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin, der Zentrale der Linken, versuchte man, dem Ernst der Lage in den zurückliegenden Monaten vor allem mit positiven Botschaften zu begegnen. Der Weg aus der Krise, so die unter Wissler und Schirdewan verbreitete «Message», führe über die vielen Neumitglieder, die nach dem Austritt Wagenknechts der Linken beigetreten seien, und über eine neu gewonnene Einigkeit. «Der Streit ist jetzt vorbei, wir sind wieder für euch da!» Das wollte man den verloren gegangenen Wähler:innen vermitteln. Die aber scheinen das Vertrauen darin, dass Die Linke für sie etwas Konkretes erreichen kann, schon lange verloren zu haben – und wofür die Partei inhaltlich steht, ist tatsächlich auch nach der Spaltung immer noch nicht klar.

Der seidene Faden

Während die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch das friedenspolitische Profil vermisst, begründete kürzlich der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke, seinen Parteiaustritt mit einem Mangel an Solidarität mit der Ukraine. Nur eines von vielen Beispielen dafür, dass der inhaltliche Dissens keineswegs mit Wagenknecht die Partei verlassen hat.

Auch die verbliebene Linke vertritt in wesentlichen Fragen also teils widersprüchliche Haltungen. Dabei geht es um Grundsätzliches: Krieg und Frieden, Regierungsbeteiligungen, Zielgruppen, Aufbaustrategie. Was früher als besondere Stärke der Linkspartei galt, ihr sogenannter Mosaikcharakter, hat dazu geführt, dass nie eine feste gemeinsame Grundlage existierte, zu der man nach dem grossen Schisma hätte zurückkehren können. Damit keinen Umgang gefunden zu haben, es zum Preis der Beliebigkeit allen recht machen zu wollen, um neuen Streit zu vermeiden – das ist vielleicht der Kern des Scheiterns von Wissler und Schirdewan.

Erste Kandidat:innen für ihre Nachfolge haben sich bereits zu Wort gemeldet. Am Dienstag etwa kündigten der frühere Bundestagsabgeordnete Jan van Aken und Ines Schwerdtner, Ex-Chefredaktorin des linken Magazins «Jacobin» (und ehemalige Autorin der WOZ), ihre Kandidaturen an. Weitere werden mit Sicherheit dazukommen. Wer auch immer dann im Oktober übernimmt: Die Herausforderungen sind enorm. Ein knappes Jahr zur Rettung einer Partei, deren Überleben am seidenen Faden hängt, ist nicht viel.

Zudem dürfte die Auseinandersetzung um den richtigen Kurs bald an Schärfe gewinnen. Momentan halten sich angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen viele innerhalb der Partei zurück. Doch spätestens nach den Brandenburger Wahlen am 18. September wird der Kampf um die Zukunft der Linken auch offen ausgefochten werden. Dann allerdings ohne Wissler und Schirdewan – immerhin ist ihr Scheitern eine Chance für neue Gesichter. Gut möglich, dass es die letzte für Die Linke sein wird.