Wahlkampf in Deutschland: Projekt Zuversicht

Nr. 5 –

Die deutsche Linkspartei will im Bundestag bleiben und hat sich dafür eine soziale Offensive verordnet. Ob das gegen den Rechtstrend reicht?

Wahlplakat von Ines Schwerdtner in Berlin-Lichtenberg
«Wir sind die ganze Zeit an den Haus­türen unterwegs»: Ines Schwerdtner, Kovorsitzende der Linken, kandidiert in Berlin-Lichtenberg für den Bundestag.    Foto: Hans-Christian Plambeck, Laif

In der «Kiezspinne», einem Nachbarschaftstreff im Ostberliner Plattenbaubezirk Lichtenberg, steht Mitte Januar eine abgekämpfte Ines Schwerdtner, schaut auf die Uhr, räuspert sich und sagt: «Ja, wir sind jetzt voll eingestiegen in den Wahlkampf.»

Die letzten zwei Stunden hat die 35-jährige Politikerin der Linkspartei bei einem «Initiativengipfel» Mieter:innen zugehört, die sich gegen «Nachverdichtung», also die Bebauung von Innenhöfen und Grünflächen, wehren. Dass in Berlin, wo Wohnraum knapp ist und Wohnungen immer teurer werden, gebaut werden muss, steht ausser Frage. Doch die Nachverdichtung, oft in Plattenbausiedlungen, geht auf Kosten von Spielplätzen und Treffpunkten – und von Grünflächen zwischen den Wohnblöcken, die in der heisser werdenden Stadt etwas Kühlung spenden. «Das geht gegen jeden Klimaschutz, gegen die Wohnqualität, es betrifft vor allem prekäre Milieus: ein perfektes Beispiel für absolut bekloppte Wohnungspolitik», so Schwerdtners Resümee.

Sie ist hier Bundestagskandidatin ihrer Partei und seit Oktober deren Bundesvorsitzende, gemeinsam mit dem Hamburger Jan van Aken. Das Duo hat den Vorsitz zu einem Zeitpunkt übernommen, da Die Linke um das politische Überleben kämpft: Von Jahren interner Streitigkeiten ausgezehrt, vom Austritt Sahra Wagenknechts und ihrer Getreuen im Herbst 2023 geschwächt, wollte die Partei unter der neuen Führung eigentlich erst mal durchatmen. Kräfte sammeln, mit Bürger:innen sprechen, Themen finden und im Sommer dann mit frischer Energie in den Wahlkampf starten.

Diesen Zeitplan hat das vorzeitige Ende der Ampelregierung über den Haufen geworfen, nun muss alles viel schneller gehen, gewählt wird bereits am 23. Februar. Ein weiterer Schlag für die angezählte Partei? «Nein, das macht nichts», sagt Schwerdtner, «wir sind vorbereitet, wir sind sowieso schon die ganze Zeit an den Haustüren unterwegs.»

Grüner als die Grünen

Die – in Deutschland eher unüblichen – Haustürgespräche waren zunächst gedacht, um den Kontakt zu den verloren gegangenen Wähler:innen wieder aufzubauen, nun sind sie zentraler Baustein der Wahlkampagne. Seit Herbst hätten Mitglieder und Unterstützer:innen der Linken bundesweit an 120 000 Haustüren geklopft, sagt Schwerdtner. Etwa jeder vierte Versuch führte zum Gespräch, 2000 bis 3000 dieser Gespräche hat die Partei auswerten lassen – und daraus abgeleitet, was die Menschen besonders bewegt: steigende Mieten, steigende Preise, Unzufriedenheit mit Politiker:innen und der Politik insgesamt. Diese Themen stellt Die Linke nun ins Zentrum ihres Wahlkampfs, für den sie wiederum an Zehntausende Türen klopft.

In Umfragen pendelt die Partei dennoch seit Monaten zwischen drei und vier Prozent, aktuell werden ihr erstmals seit der Spaltung auch fünf zugetraut – mindestens so viel braucht sie auch, um in den Bundestag einzuziehen. Dabei ist Die Linke in einer absurden Situation, denn sie wächst stark: Seit Wagenknechts Abgang sind 18 000 Neumitglieder beigetreten, und nur etwa 8000 haben die Partei verlassen, die jetzt 60 000 Mitglieder zählt. Ihr Programm würde Menschen in Deutschland, die kaum über die Runden kommen, finanziell helfen – deutlich mehr als die Vorschläge aller anderen Parteien. Beim Klimaschutz ist Die Linke grüner als die Grünen. Und sie ist die einzige Kraft im Bundestag, die sich noch gegen Abschiebungen starkmacht.

Eine Menge Alleinstellungsmerkmale, und doch zeigen die Umfragen nicht deutlich nach oben. Das hat auch mit dem Wahlsystem und daran hängenden Umfragedynamiken zu tun: Viele, die der Linken eigentlich die Stimme geben würden, haben Angst, dass diese am Ende verschenkt sein könnte, wenn die Partei an der Sperrklausel scheitert.

«Aktion Silberlocke»

Also versucht Die Linke, ihren potenziellen Wähler:innen diese Sorge zu nehmen, indem sie ihnen verspricht, es in den Bundestag zu schaffen. Mindestens über die Grundmandatsklausel. Diese ist eine Besonderheit des deutschen Wahlrechts und rettete Die Linke schon 2021. Damals landete sie bei 4,9 Prozent, zog aber dennoch in Fraktionsstärke ins Parlament ein, weil sie in drei Wahlkreisen Direktmandate gewann, also jeweils die meisten Erststimmen erhielt. Wenigstens das soll nun wieder gelingen, dann bekäme die Partei auch beim Verfehlen der Fünfprozenthürde die ihnen nach Zweitstimmenanteil zustehenden Sitze. Ein Mandat soll Gregor Gysi in Berlin Treptow-Köpenick holen, dessen Genossen von der «Aktion Silberlocke» – Bodo Ramelow in Erfurt und Dietmar Bartsch in Rostock – zwei weitere. Bartschs Chancen stehen allerdings nicht besonders gut. In Leipzig und in einigen Berliner Wahlkreisen darf sich die Partei dagegen Hoffnungen machen. Sicher aber ist das Mandat nirgendwo. Nicht einmal im Ostberliner Wahlkreis Lichtenberg, und das will etwas heissen.

Denn Die Linke, davor ihre Vorgängerpartei PDS, hat hier seit der Wende immer das Direktmandat gewonnen, noch in den nuller Jahren mit fast 50 Prozent der Stimmen. Doch diese Zeiten sind vorbei – schon länger verliert die Partei Wähler:innen in ihren einstigen Hochburgen im Osten, im Sog des rechten Zeitgeists unter anderem an die AfD. Und ausgeknockt von ihren internen Querelen, konnte Die Linke lange nicht gegensteuern.

Vor diesem Hintergrund holte Gesine Lötzsch 2021 zwar noch das Direktmandat in Lichtenberg, aber «nur» mit 25,8 Prozent. Bei den Europawahlen vergangenen Juni, den ersten Wahlen, bei denen auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) antrat, landete Die Linke weit abgeschlagen auf dem sechsten Platz mit gerade einmal zehn Prozent. Nun ist es Ines Schwerdtner, die als Kandidatin darum kämpft, das Direktmandat in Lichtenberg zu holen.

Hilfen im Alltag

Dafür verspricht sie ihren möglichen Wähler:innen nicht nur Sozialpolitik, sondern auch konkrete Hilfen im Alltag und einen neuen Typus Politikerin: Schwerdtner bietet eine Sozialsprechstunde an; sie, ihr Kovorsitzender Jan van Aken und einige andere haben ausserdem ihre Bezüge begrenzt: auf 2850 Euro, das entspricht etwa dem deutschen Durchschnittslohn. Was darüber liegt, wird in einen Sozialfonds gezahlt. Die Genoss:innen haben einen Mietwucherrechner entwickeln lassen, mit dem Mieter:innen in mehreren Städten prüfen können, ob sie überhöhte Mieten zahlen – und den übertriebenen Mietzins gegebenenfalls zurückfordern.

Und auch eine Heizkosten-App bietet die Partei an: Aktive der Linken prüfen damit, ob bei Nebenkostenabrechnungen Fehler vorliegen – und schreiben eine Erstattungsaufforderung an den Vermieter. «Wenn ich in Gesprächen sage: ‹Hier ist unser Heizkostencheck; wenn Sie noch Hilfe brauchen, kommen Sie in meine Sprechstunde, und ich gebe übrigens mein Gehalt ab›, dann reagieren die meisten Leute überrascht und positiv, weil sie das von einer Politikerin nicht erwarten», sagt Schwerdtner.

Wird das reichen? Die Linke strahlt jedenfalls derzeit so viel Optimismus aus wie lange nicht mehr. Die positive Stimmung wurde auch in Medienberichten über den Parteitag am 18. Januar in Berlin vermerkt, denen häufig das Erstaunen über die Wandlung der Partei von der Skandaltruppe zum Gute-Laune-Team anzumerken ist. Andererseits: Trotz Haustürgesprächen und obwohl die Partei wieder mit Inhalten statt Streitigkeiten in den Medien vorkommt – die Umfragewerte sind wackelig. Und auch bei den Direktmandaten wird es extrem eng. Schafft es Die Linke nicht mehr ins Parlament, droht dieses – wenn aller Voraussicht nach Friedrich Merz von der CDU neuer Bundeskanzler wird – auf Oppositionsseite von der AfD und vielleicht dem BSW dominiert zu werden.

In Lichtenberg sind diese beiden Parteien die grössten Konkurrenten der Linken beim Kampf um das Direktmandat. Mit Beatrix von Storch hat die AfD eine berüchtigte rechte Lautsprecherin aufgestellt, das BSW hat den Ex-Linken Norman Wolf nominiert. Nimmt er der Linkspartei genug Stimmen ab, könnte von Storch profitieren.

Es werde knapp, sagt Schwerdtner, aber sie bleibe optimistisch: «Wir sind hier verwurzelt, wir sind ansprechbar seit Jahren, ob bei hohen Mieten oder Nachverdichtung. Die anderen sind sich am Ende ziemlich ähnlich.» Und bei Haustürgesprächen oder am Infostand höre sie immer von ehemaligen Wähler:innen, die bei der Europawahl das BSW ausprobiert hätten, sich jetzt aber nicht mehr sicher seien. Schwerdtner: «Um die kämpfen wir natürlich.»