AHV-Finanzierung: Keller-Sutter plant ihre Abwahl
Dass die Sommerpause in Bundesbern abrupt durch einen Rechenfehler bei der AHV endete, darf man durchaus symbolisch verstehen: Im kommenden Polithalbjahr wird voraussichtlich noch sehr viel gerechnet werden. Und das mutmasslich ganz anders und völlig neu.
Der Prognosefehler zumindest, den das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) letzte Woche einräumte, läuft der gängigen Logik der bürgerlichen Schweiz und der ihr in dieser Frage treu ergebenen Medien zuwider: Der AHV geht es nicht noch schlechter, als es FDP, SVP und GLP, NZZ, CH Media oder SRF schon immer vermutet haben. Im Gegenteil, es geht ihr besser. Und wie wir gleich sehen werden: Es geht ihr noch viel besser!
Das Umlagedefizit im Jahr 2033, so denn das BSV nun richtig rechnet, soll nicht wie bisher prognostiziert sieben Milliarden Franken betragen, sondern nur vier Milliarden. Ein Umlagedefizit bedeutet, dass die Einnahmen der AHV, insbesondere die Einzahlungen der Werktätigen, tiefer sind als die Auszahlungen.
Gemäss dem BSV hat das nun noch verbleibende Defizit 2033 eine wesentliche Ursache, nämlich die Einführung der 13. AHV-Rente. Die meisten Medien übernahmen diese Interpretation – allen voran SRF, das mit einer dramatischen roten Kurve hantierte, die wegen der zusätzlichen Rente ins Minus fällt.
Bloss hat das BSV seine Prognose ohne jede Zusatzfinanzierung für die 13. AHV-Rente gemacht. Gemäss verschiedenen Schätzungen dürfte sie vier bis fünf Milliarden Franken jährlich kosten. Werden diese Ausgaben mit gleich hohen Einnahmen kompensiert, so könnte das Umlageergebnis 2033 nicht vier Milliarden im Minus, sondern eine Milliarde im Plus liegen. Die AHV schreibt schwarze Zahlen – das ist die im Rechenfehler verborgene Wahrheit.
Was aber macht der Bundesrat eine Woche nach Bekanntgabe dieser erfreulichen Zahlen? Er präsentiert zwar eine Zusatzfinanzierung für die 13. AHV-Rente – aber eine äusserst unsoziale. Damit konterkariert er das Anliegen der Initiative, mit der die unteren und mittleren Einkommen gestärkt werden sollten.
Nun soll das Gegenteil eintreten, und diese Einkommen die Kosten voll mitragen. Der Bundesrat möchte die 13. Rente nämlich allein über die Mehrwertsteuer finanzieren. Diese müssen in der Schweiz alle Konsument:innen gleichermassen bezahlen. Von einer Finanzierung via Lohnprozente sieht der Bundesrat ab: Höhere Lohnabzüge aber würden wegen des Umverteilungsmechanismus der AHV die tieferen und mittleren Einkommen kaum belasten – bezahlen würden vor allem die Reichen.
Noch brisanter ist der Beschluss, den Bundesanteil an der Finanzierung der AHV von bisher 20,2 Prozent auf 19,5 Prozent zu senken – um den Bundeshaushalt auf Kosten der AHV zu sanieren. Der Bundesanteil wird über die direkte Bundessteuer finanziert. Davon betroffen sind besonders die Konzerne, die so auch einen spezifischen Beitrag an die AHV leisten. Was für eine verkehrte Welt: Eine Vorlage, die eigentlich die tieferen Einkommen entlasten sollte, führte nun also zu einem weiteren Steuergeschenk an die Unternehmen.
Die Vorlage trägt die Handschrift von Finanzministerin Karin Keller-Sutter, die zunehmend als Finanzplatzministerin bezeichnet werden kann. Sie ignoriert damit auch die Mehrheit der Vernehmlassungsantworten, die eine Finanzierung mittels Mehrwertsteuer und Lohnprozenten unterstützten – und eine Senkung des Bundesbeitrages ablehnten.
SP, Grüne und Die Mitte müssen nun alles daran setzen, im Parlament dieser Variante zum Durchbruch zu verhelfen. Sie treffen dabei auf ein verblendetes rechtsbürgerliches Lager. SVP und FDP lehnen sogar jegliche Zusatzfinanzierung ab. Weiter aufladen dürften die Diskussion Anfang September die Sparvorschläge für den Bundeshaushalt einer von Keller-Sutter beauftragten Arbeitsgruppe.
Das Schlussresultat all dieser Rechnungen dürfte auch über die nächsten Parlamentswahlen entscheiden – und damit über den zweiten Sitz der FDP in der Regierung und damit auch jenen von Keller-Sutter.