Richard Sennett am Theaterspektakel: Kamala Harris’ Lachen

Nr. 35 –

Wer wird den Wahlkampf ums Weisse Haus gewinnen? Auch Richard Sennett, mit Büchern wie «Verfall und Ende des öffentlichen Lebens» und «Der flexible Mensch» zu einem herausragenden US-Soziologen der Gegenwart geworden, ist zuversichtlich, dass Kamala Harris im November das Rennen machen wird. So erzählt er es letzte Woche bei seinem Auftritt am Zürcher Theaterspektakel. Zugleich fürchtet er, dass es im Nachgang der Wahl erneut zu gewaltsamen Aufständen von enttäuschten Trump-Anhänger:innen kommen könnte. Damit sind wir schon mittendrin in Sennetts neuem Buch über politische und andere (Selbst-)Darsteller:innen: «The Performer» handelt von Massen oder Einzelpersonen, die uns und dabei immer auch sich selbst in ein emotionales Theater der Gewalt oder der Verführung verwickeln.

Der einstige Konzertcellist Sennett hat einen geschärften Sinn für die nonverbalen Anteile jeder Kommunikation. Kernstück einer Performance ist für ihn das Aufeinandertreffen von konkreten Körpern in einem realen öffentlichen Raum. Das Talent einer guten Selbstdarstellerin oder das Können eines schauspielerisch gewieften Politikers zeige sich auch darin, wie er oder sie sogar abgestandene Klischees und sinnfreie, wirr zusammengestückelte Sätze in einen fesselnden Austausch mit einem Publikum verwandeln könne.

Womit wir wieder bei Trump wären. Mit Sennett gedacht, ist es nur folgerichtig, dass die menschenverachtende, bösartige Inszenierung von Trump nun zuallererst mit einer charmanten Gegenperformance gekontert werden muss, die seine hasserfüllte aushebelt. Das mitreissende, fröhliche Lachen von Kamala Harris – auf das ihr Widersacher ja auffallend schnell und mit heftiger Ablehnung reagierte – ist deshalb tatsächlich von entscheidender Bedeutung: der eigentliche Gamechanger in diesem Wahlkampf.

Auch der bereits 81-jährige Sennett selbst erweist sich als einnehmender Performer mit Schalk und Selbstironie. Und das war auch sein Ratschlag an das zahlreich erschienene Publikum in Zürich: bescheiden sein, sich stets als eine:n unter vielen betrachten und sich entsprechend verhalten. Politische Krisen könnten nur sozial beantwortet werden.

Richard Sennetts Buch «The Performer. Art, Life, Politics» erscheint im Oktober 2024 unter dem Titel «Der darstellende Mensch» bei Hanser Berlin auf Deutsch.