Pornifizierung der Politik: «Vom Weissen Haus bis runter zum Küchentisch»
Das feministische Aufbäumen der letzten Jahre hat nicht gereicht: Mit Donald Trumps erneutem Wahlsieg geraten marginalisierte Gruppen in den USA unter grossen Druck. Historikerin Barbara Lüthi über die Gewalt, die in Trumps chauvinistischem Projekt steckt.

WOZ: Frau Lüthi, Donald Trump wird erneut Präsident der USA. Welche Gedanken gehen Ihnen gerade durch den Kopf?
Barbara Lüthi: Ich finde es erschreckend, was da abläuft. Statt zu versuchen, die Gesellschaft zusammenzuhalten, polarisiert Trump – ein oft gebrauchtes, aber richtiges Schlagwort. Sorgen bereitet mir schon jetzt die Frage der Gewalt – von der verbalen Ebene bis zur Bereitschaft, Menschen, die nicht ins eigene Weltbild passen, über Gesetze, aber auch physisch anzugreifen. Ich bin sehr erstaunt, dass so viele Menschen ihn – und das Programm, für das er steht – gewählt haben.
Trumps Wahlkampf ist diesmal noch stärker durch Rassismus und Misogynie aufgefallen als vor acht Jahren. Haben ihn die Leute deshalb oder trotzdem gewählt?
Ein Aspekt, der immer wieder genannt wird, ist die wirtschaftliche Unsicherheit – bei manchen eine reale, bei anderen eine projizierte Angst. Das hat sicherlich eine Rolle gespielt – wobei ich erstaunt bin, dass Trump in dieser Hinsicht als Rettung wahrgenommen wird. Man wird im Detail anschauen müssen, wer ihn gewählt hat, aber die Tendenz der «Post-#MeToo»-Ära scheint zu sein, dass junge Frauen eher liberal wählen, junge Männer hingegen entweder den Republikaner:innen treu bleiben oder nach rechts tendieren. Feminismus ist ein bequemer Sündenbock: Viele Männer glauben, die sich schnell ändernden Geschlechterrollen hätten sie sozial und wirtschaftlich abgehängt – ein Gefühl von Macht- und Autoritätsverlust, das Trump und sein Vize J. D. Vance schon während der Vorwahlen angesprochen haben. Und sie ärgern sich über die politische Solidarität, die ihren nichtmännlichen Altersgenossen durch den Feminismus zukommt. Relativ stark ist auch die Nullsummenvorstellung von Geschlechtergleichheit: Gewännen Frauen, würden Männer unweigerlich verlieren.
Die USA-Expertin
Die Historikerin Barbara Lüthi hat an mehreren US-Universitäten geforscht und war von 2011 bis 2018 Assistenzprofessorin für nordamerikanische Geschichte an der Universität Köln.
Seit zwei Jahren arbeitet sie am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) der Universität Leipzig in den Themenfeldern Migrationsgeschichte, Postcolonial Studies und soziale Bewegungen. Gemeinsam mit Patricia Purtschert und Francesca Falk hat Lüthi das Buch «Postkoloniale Schweiz» herausgegeben.

Welches Männlichkeitsbild verkörpern denn Leute wie Trump, sein Vize Vance oder auch Elon Musk?
In den Medien wird viel vom maskulinen Backlash gesprochen, von Trump als Verfechter einer traditionellen Männlichkeit. Ich würde eher sagen, Trump verkörpert, oder verkauft, eine neue Form von Maskulinität. Das ganze politische Feld hat sich maskulinisiert: Es wird als Kampf zwischen Männern betrachtet – ein Bild, in dem Frauen gar nicht mehr vorkommen. Trump bietet eine Vision hegemonialer Männlichkeit an: Weisse heterosexuelle Männer sollen wieder das Sagen haben, vom Weissen Haus bis runter zum Küchentisch. Sie können ihre Autorität über Frauen, LGBTQ+-Personen oder People of Color über – auch physische – Dominanz und Aggression zurückgewinnen. Nach seiner Verurteilung im Sommer trat Trump erstmals öffentlich auf: bei einer Veranstaltung der Ultimate Fighting Championship in New Jersey – einen fast ausschliesslich von Männern besuchten Event. Medienwissenschaftler:innen sprechen bei Trump auch von einer «Pornifizierung der Politik».
Das wäre?
Das Vereinen von Sexismus und Machismus ist demnach etwas, was Trump aus der pornografischen Kultur übernommen hat. In diesem Pornifizierungsrahmen existiert sehr wenig Raum für Frauen, ausser als sexuelle Objekte. Vance wiederum hat ein sehr klares Frauenbild: Schon als Gouverneur sagte er Phrasen wie dass berufstätige Frauen einen Weg ins Elend wählten, wenn sie Karriere über Kinder stellen würden. Und das Magazin «Atlantic» thematisierte kürzlich seine Obsession mit der weiblichen Kinderlosigkeit.
Die Demokrat:innen wiederum haben die Abtreibungsfrage ins Zentrum ihres Wahlkampfs gestellt, weil sie davon ausgingen, das würde viele Frauen mobilisieren. Kamala Harris hat das offenbar nicht zum Sieg verholfen. Wie erklären Sie sich das?
Harris hat sich schon immer für zwei Themen starkgemacht: einerseits für die Frage des Körpers, also für Abtreibungs- und Reproduktionsrechte. Trump hat in den letzten Wochen davon gesprochen, Frauen schützen zu wollen – womit er meinte, dass sie nicht abtreiben sollten. Harris hat immer sehr klar gekontert: Die Frauen wüssten selbst, was für ihren Körper gut sei. Sie hat sich auch sehr klar gegen die Umwälzung des Grundsatzurteils «Roe v. Wade» ausgesprochen. Offensichtlich war das ein falscher Fokus – obwohl viele Frauen sie wohl gerade deswegen gewählt haben.
Und das andere Thema?
LGBTQ+-Rechte. Und auch da hielt Trump mit seiner manichäischen Weltsicht, die nur zwischen Freund und Feind unterscheidet, dagegen. Innere Feind:innen etwa sind für ihn ganz klar trans Menschen, das hat er immer wieder deutlich gemacht. So hat er durchgesetzt, dass sie nicht fürs Militär rekrutiert werden dürfen. Hinzu kam eine ganze Palette von Vorstössen zur Gesundheitsversorgung von trans Jugendlichen sowie der Ausschluss von trans Sportler:innen. Die Frage ist, was diese Transmisogynie mit einer evangelikalen Weltsicht zu tun hat: Geht man davon aus, dass Frauen «biologisch stabil» sein sollen, sind trans Frauen natürlich deviant. Wie normalisiert dieses Weltbild in den USA inzwischen ist, sieht man an der zunehmenden Gewalt gegen trans Personen. Dass sich Harris und ihr Vize Tim Waltz bei diesem Thema so stark positioniert haben, hat nun vielleicht gegen sie gearbeitet.
Harris ist ja nicht bloss eine Frau, sondern eine Woman of Color. Welche Rolle hat das im Wahlkampf gespielt?
Ich erinnere mich, dass sie bei der Democratic Convention stark auf ihre Biografie eingegangen ist: die Geschichte ihrer indischen Mutter, die als Migrantin in die USA kam und dort als Wissenschaftlerin Karriere machen wollte, und jene ihres jamaikanischen Vaters. Ansonsten hat sie das aber kaum hervorgehoben. Gruppierungen wie Black Lives Matter haben sie auch kritisiert – nicht wegen ihrer Kompetenzen, sondern weil sie meinten, die Elite der demokratischen Partei und die grossen Spender:innen würden versuchen, Schwarze Wähler:innen zu manipulieren, indem sie Harris ohne öffentliche Vorwahl zur Kandidatin ernannten.
Nach Hillary Clinton ist nun die zweite hochqualifizierte demokratische Kandidatin gescheitert. Glauben Sie, dass jemals eine Frau US-Präsidentin werden kann?
Auf jeden Fall – auch wenn ich fürchte, dass es eine Republikanerin werden könnte. 2020 haben an den Vorwahlen beider Parteien schon sechs Frauen teilgenommen – darunter auch Kamala Harris. Da hat eine gewisse Normalisierung stattgefunden. Für die politische Kultur hat das einen sehr wichtigen Wandel bedeutet – auch wenn schlussendlich mit Biden und Trump wieder zwei Männer aufgestellt wurden.
Auffällig ist, dass mit Harris im letzten Moment eine Frau für Präsident Biden eingesprungen ist – einen Mann, der nicht von der Macht lassen konnte. Jetzt ist sie die nächste Frau, die gegen Trump verlor.
Anfangs profitierte sie ja durchaus vom Überraschungsmoment. Dabei hat sie sich zuvor als Vizepräsidentin neben Biden kaum politisch profiliert. Mit ihren sicheren Auftritten hat sie dann für einige Begeisterung gesorgt. Aber natürlich hatte sie im Vergleich zu Trump sehr wenig Zeit, um ihren Wahlkampf aufzugleisen, ein eigenes politisches Programm zu entwickeln. Bei gewissen Themen hat sie sich dann erstaunlich schnell positioniert, teils ist sie markant von ihrer früheren Politik abgewichen.
Zum Beispiel in der Grenz- und Migrationspolitik, in der sie grosse Härte an den Tag legte …
Früher in Kalifornien hatte sie sich noch für den Dream Act eingesetzt, damit minderjährige Sans-Papiers eine Aufenthaltsberechtigung erhalten. Aber das Schlimme ist ja, dass eine harte Migrationspolitik heute Courant normal ist – sonst hast du kaum Chancen auf einen Wahlsieg, ob du nun Demokratin oder Republikaner bist.
Nach der ersten Wahl Trumps 2016 gab es die grossen feministischen Demos, die «Pussy Hats», später auch die «Blaue Welle» bei den Zwischenwahlen. Welche Rolle wird Trumps erneute Wahl bei der feministischen Mobilisierung spielen?
Das ist sehr schwer abzusehen. Damals gab es ja eine extrem schnelle und wirklich grosse Gegenreaktion auf die Wahl des ausgewiesenen Sexisten Trump. Seither wurden die Abtreibungs- und Reproduktionsrechte noch stärker zum Thema, sind auch neue feministische und queere Gruppierungen entstanden. In den USA hat aber auch der Antifeminismus schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Konservative Frauen hatten immer schon starke Positionen inne, etwa Phyllis Schlafly, die in den Siebzigern gegen die Festschreibung der Gleichberechtigung in der Verfassung kämpfte. Oder Sarah Palin, die gegen Ende der nuller Jahre die rechte Tea-Party-Bewegung stark mitprägte. Hinzu kommen die konservativen Kommentatorinnen auf rechten Medienkanälen. Für solche Frauen mag der feministische Kampf vorbei oder auch gar nicht notwendig sein. Aber für Frauen aus unteren Klassen, und gerade auch aus marginalisierten Gruppen, ist das anders. Und in der Vergangenheit bildeten sie in den USA vielerorts die Basis von Mobilisierungsschüben.
Mit dem «Project 2025» legte Trumps Umfeld einen minutiösen Plan vor, um unter seiner Präsidentschaft eine möglichst grosse Machtfülle zu erreichen. Was ist bezüglich des Abbaus demokratischer Rechte zu erwarten?
Das «Project 2025» mag in mancherlei Hinsicht etwas überbewertet werden, aber ich glaube, dass es definitiv zu einem Abbau von Gesetzen zum Minderheitenschutz kommen wird: Manche Antidiskriminierungsmassnahmen dürften verschwinden oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden. Und vor allem bin ich besorgt über die Gewalt, die durch die Aushöhlung jener Institutionen ausgeübt wird, an die sich diskriminierte Gruppen eigentlich sollten wenden können: die Gerichte. Und während Hate Speech im US-amerikanischen Alltag erwiesenermassen zugenommen hat, reichte Vance in den letzten Jahren als Senator eine ganze Reihe von Gesetzesentwürfen ein, die sich beispielsweise gegen trans Menschen richten.
Wie tauglich ist für Sie als Historikerin in diesem Zusammenhang der vielzitierte Faschismusbegriff?
In den USA wird es längst als Schimpfwort gebraucht, und zwar von beiden Seiten. Ich halte es nicht für eine falsche Kategorie, aber man muss genau überlegen, was damit überhaupt analysiert werden will: ein bestimmtes Führungsprinzip, die Organisationsform der Regierung oder eine antidemokratische Haltung? Der Begriff ist historisch natürlich stark beladen, aber wenn man ihn umdenken, vielleicht auch anpassen kann, mag er hilfreich sein.
Werfen wir zum Schluss einen Blick über die USA hinaus: Welche Bedeutung hat die Wahl von Trump für rechte Kulturkämpfer:innen weltweit, von Russlands Präsident Wladimir Putin bis zu den hiesigen rechten Medien?
Ich hatte gehofft, dass ein Sieg von Harris ein Gegengewicht zu diesen Entwicklungen bilden könnte. Es gibt dieses Zitat: «Wenn die USA niesen, erkältet sich die ganze Welt.» Gerade auf kultureller Ebene haben die USA noch immer eine Art Vorbildfunktion oder zumindest sehr viel Einfluss. Für die Alt-Right und die neue Rechte ist das jetzt natürlich ein enormer Sieg und eine Bestätigung. Ich fürchte, es stehen eisige Zeiten bevor.