Auf allen Kanälen: Beissende Schlangen
Trumponomics, Hyperpolitik und Harrison Ford: linksliberale und linke US-Publikationen zur US-Präsidentschaftswahl.

Dass gleich zwei grosse, eher linksliberale US-Zeitungen keine Unterstützungserklärung für Kamala Harris abgaben, sorgte für Wirbel. Gravierend daran ist vor allem, dass diese Entscheide offenbar eigenmächtig in den Teppichetagen von «Washington Post» und «Los Angeles Times» gefällt wurden, explizit gegen den Willen der Redaktionen. William Lewis, Verleger der «Washington Post» und Günstling ihres milliardenschweren Besitzers Jeff Bezos, hätte sich besser vom pompösen hauseigenen Motto leiten lassen: «Die Demokratie stirbt im Dunkeln.»
Doch wer sich in dieser einfallenden Dunkelheit hilfesuchend der Wahlempfehlung der «New York Times» zuwendet, merkt schnell, wie wenig eine solche hergibt. Jedenfalls wenn sie als reine staatstragende Floskel formuliert ist. Harris sei die «einzige patriotische Wahl» – Donald Trump dagegen «not fit to be president», aus vielen Gründen untauglich für das Amt, das hätten auch mehrere seiner ehemaligen Mitstreiter:innen bestätigt.
Trump als Psychologe
Etwas mehr Substanz hat der Appell des Intellektuellenhefts «The New Yorker». Bloss bleibt auch hier das Schlusswort flach: Eine Präsidentin Harris stehe für «mehr Vernunft und Menschlichkeit», Trump dagegen sei ein Chaot, er bedrohe «Amerikas moralisches Ansehen in der Welt». Auf dem Cover prangt das Konterfei von Kamala Harris, in violette Farbe getaucht, einer fahlen Lichtquelle entgegenblickend. Die Zukunft? Auch das Magazin «Dissent» schmückt seine aktuelle Titelseite mit einer Zeichnung. Sie zeigt eine mächtige schwarze Wand mit anstehenden Herausforderungen, neben der die Silhouetten von Harris und Trump gleichermassen verloren wirken.
«New Yorker» wie «Dissent» prangern Trumps Deportationspläne für «illegal immigrants» an, inklusive Verweis auf die menschenunwürdige Abschiebung von einer Million Mexikaner:innen unter Dwight D. Eisenhower 1954. Historisch gibt sich auch der «Atlantic»: «Der Moment der Wahrheit» steht in grossen Buchstaben auf der Novemberausgabe. Eine weitere Präsidentschaft des «Tyrannen» Trump würde das Ende von George Washingtons Vision der USA bedeuten. Das dürfte den meisten Trump-Fans allerdings egal sein.
Aufschlussreicher wirds am linken Pol des medialen Spektrums. Der Wirtschaftsjournalist Doug Henwood analysiert im «Jacobin» Trumps Pläne für die US-Wirtschaft. Seine «Trumponomics» bedeuteten Steuersenkungen, Zölle, den Abbau von Umweltmassnahmen, flächendeckende Deregulierungen. Sogar Kinderarbeit soll wieder möglich sein und fast jede Art von Diskriminierung: eine Politik also, die staatliche Steuerungen weitgehend aufhebt, ausser wenns um Migration geht – und um weibliche Körper.
In der «New York Review of Books» verweist die Schriftstellerin Anne Enright zu Recht darauf, wie die ganze Aufregung über Trumps irre Rhetorik eine entscheidende Wahrheit verstelle: dass er einen verborgenen Teil der US-amerikanischen Psyche offenbar erschreckend gut verstehe. Zum Beweis findet sich ausgerechnet in diesem gelehrten Rezensionsmagazin die eindringlichste Beschreibung einer Trump-Rally: «Seine Gegner:innen sprechen in Jargon und Klischees, er spricht in wütenden Tiraden.» Neben wirren Improvisationen erzähle Trump aber auch unheimlich kohärente rassistische Parabeln von wohlmeinenden Frauen, die halb erfrorene Schlangen bei sich aufnähmen, nur um am Ende von ihnen totgebissen zu werden.
Innere Leere
Die «New Left Review» erscheint in London, hat aber einen starken US-Bezug. Der Historiker Anton Jäger erklärt hier nochmals sein Konzept der Hyperpolitik als «Politisierung ohne klare politische Konsequenzen»: als «kurioser Mix aus Aktivismus und Atomisierung» entlang der Fieberkurven von sozialen Medien und Märkten. Jäger sieht in den USA überdies die Trägheit einer weiterhin dominanten Weltmacht am Werk, die aber kaum noch eigene Kraft oder Ideen habe. Harris und Trump sind für ihn deshalb schlicht zwei Seiten derselben inneren Leere.
Auf zumindest einem weitreichenden Unterschied insistiert der Schauspieler Harrison Ford: Kamala Harris werde auch in Zukunft das Recht garantieren, mit ihr nicht einverstanden zu sein, erklärt er in einer viel beachteten Videobotschaft. Ein Grundsatz der Aufklärung als Wahlempfehlung aus dem linksliberalen Hollywood.