Deutschland: Rechtsextreme Raumnahme

Nr. 36 –

Da stand er also, der biedere Brandstifter – und jammerte, was das Zeug hält. «Hören Sie auf, mich zu stigmatisieren», beschwerte sich Björn Höcke beim Moderator der Wahlsendung, der die AfD soeben «rechtsextrem» genannt hatte. Sich unschuldig und harmlos, ja missverstanden geben, nachdem man die Grenzen des Sagbaren beständig nach rechts aussen verschoben hat. Die Strategie aus dem Werkzeugkasten der Neuen Rechten hat Höcke über die Jahre perfektioniert. Unterstützt von gewalttätigen Neonazis, hat man sich den öffentlichen Raum genommen, bis die eigene Erzählung hegemonial wurde.

Und auch sonst läuft für die «Volkspartei Nummer eins», wie Höcke seine AfD nennt, alles nach Drehbuch. Ausgerechnet am 1. September – dem Tag, an dem Nazideutschland vor 85 Jahren den Zweiten Weltkrieg begann – holte sie in zwei Bundesländern mehr als ein Drittel der Stimmen, wurde in Thüringen gar stärkste Kraft. Dass die Mobilisierung von Ängsten und Affekten zum Erfolgsmodell wurde, ist dabei auch der Haltung anderer Parteien zu verdanken.

Um der AfD Stimmen abzujagen, haben sie sich so lange in ihren asylpolitischen Verschärfungsfantasien gegenseitig überboten, bis zwischen ihre Forderungen und jene der extremen Rechten kaum mehr ein Blatt Papier passte – an der Debatte nach dem Anschlag in Solingen lässt sich dies exemplarisch zeigen. Wer aber die Rechte imitiert, ihren Themen Resonanz verschafft und so zur Normalisierung beiträgt, kann auf Dauer nur verlieren. Wenn die Regierenden für die Deportation Geflüchteter plädieren, braucht die AfD selbst gar nicht mehr von «Remigration» zu reden.

Der Opportunismus der «bürgerlichen Mitte» ist ihren Exponent:innen nun krachend auf die Füsse gefallen. Statt sich der AfD entgegenzustellen, hat man sie (und die «besorgten Bürger:innen», die sie wählen) über die Jahre umarmt. Die Brandmauer, von der noch immer viele reden, ist im Osten längst eingerissen. Höcke – der Mann aus Hessen, der vor kaum zehn Jahren in Thüringen aufgetaucht war und mit dem Strategielieferanten Götz Kubitschek die radikale Rechte um sich scharte – konnte sich zufrieden zurücklehnen. «Der Faschismus wird wieder zum Soundtrack», hat die Autorin Anne Rabe neulich treffend geschrieben. Jeden Tag werde deutlicher, «dass die rechtsextreme Raumnahme weit fortgeschritten ist». Der Osten Deutschlands als Testlabor.

Wie sich die extreme Rechte in jenen Landstrichen auszubreiten wusste, in denen kapitalistische Verheerungen besonders spürbar sind, ist hinreichend beschrieben worden. Künftig wird ihr parlamentarischer Arm die anderen Parteien vor sich hertreiben können. Auch wenn sie selbst nicht mitregiert: Die «Sperrminorität» verschafft der AfD in Thüringen dennoch grosse Macht, künftig kann sie die Politik einer jeden Regierung sabotieren: Verfassungsänderungen blockieren, die Ernennung von Richter:innen verhindern. Die Erfahrungen, die sie dabei macht, wird die Partei auf andere Orte übertragen. Zu meinen, der Vormarsch der radikalen Rechten werde sich auf den Osten beschränken, wäre ein fatales Missverständnis. Zu spüren bekommen werden den rauen Wind des Autoritären vor allem jene, die nicht in deren homogenes Weltbild passen. Wo die Bedrohung für Geflüchtete und Queere, für linke, jüdische, rassifizierte Menschen schon vorher gross war, wird die Gefahr auf den Strassen weiter wachsen.

Will man dem Treiben der Extremen Einhalt gebieten, muss ihnen der öffentliche Raum wieder entzogen werden. Praktisch, indem man sich schützend vor die Betroffenen stellt und jenen beisteht, die vor Ort den Widerstand organisieren. Politisch und medial, indem man aufhört, ihnen nach dem Mund zu reden, und dem hegemonialen Narrativ die eigene Erzählung einer solidarischen Gesellschaft entgegensetzt. Neu ist diese Strategie nicht. Wirksam wird sie besonders dann, wenn sie nicht nur in Ostdeutschland zum Tragen kommt, sondern überall in Europa, wo die Rechte marschiert. Auch in der Schweiz.