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Nr. 37 –

Politische Geste oder zynisches Kalkül? Deutschland schickt einen Film zu den Oscars, der manchen nicht deutsch genug ist. Und was macht die Schweiz?

verfremdetes Filmstill aus «The Seed of the Sacred Fig»
«The Seed of the Sacred Fig»

Als der offizielle deutsche Beitrag für die kommenden Academy Awards verkündet wurde, kam das nicht überall gut an. Der Filmkritiker der «Welt» sah regelkonforme Schummelei am Werk, im Onlinemagazin «Artechock» polterte ein anderer: «Ein kleiner Skandal und ein grosser Schlag ins Gesicht aller deutschen Filmemacher und Produzenten.» Denn: «Ein Film, der nicht in Deutschland gedreht wurde, nicht in Deutschland spielt, in dem die deutsche Sprache nicht vorkommt und in dem weder Regisseur noch auch nur ein Darsteller Deutscher ist, soll ‹den deutschen Film› im Oscar-Rennen vertreten.» Unerhört. So viel Deutschland in einem einzigen Satz.

Deutschlands offizieller Beitrag bei den Oscars ist «The Seed of the Sacred Fig». Sein Regisseur, der Iraner Mohammad Rasoulof, wird vom iranischen Regime seit 2010 drangsaliert, mit Ausreisesperren belegt und immer wieder auch zu Haftstrafen verurteilt. Seit der Premiere von «The Seed of the Sacred Fig» in Cannes lebt er in Hamburg, wo er Verwandte und deshalb schon länger einen zweiten Wohnsitz hat. Dort ist auch seine Produktionsfirma ansässig, weshalb Rasoulof seinen Film zu einem beträchtlichen Teil mit Unterstützung der regionalen Filmförderung in Hamburg finanzieren konnte. Als sein deutscher Produzent fungierte Mani Tilgner, der Sohn des früheren Nahostkorrespondenten des Schweizer Fernsehens Ulrich Tilgner.

In der Heimat verfolgt

Die Kriterien der Academy für den besten internationalen (früher: nicht englischsprachigen) Film sind relativ offen formuliert. Entscheidend: «Die kreative Kontrolle über den Film muss weitgehend in den Händen von Bürger:innen oder Bewohner:innen des einreichenden Landes liegen», wie es im Reglement heisst. «The Seed of the Sacred Fig» wurde klandestin im Iran gedreht, die ganze Postproduktion erfolgte dann in Deutschland, die kreative Kontrolle lag beim Autor und Regisseur, der später nach Deutschland geflüchtet ist. Aber es soll hier nicht um die bürokratischen Details gehen, wie weit der Film die Richtlinien der Academy erfüllt.

Klar ist es eine politische Geste, das Werk eines Regisseurs, der in seiner Heimat verfolgt wird, bei den Oscars anzumelden. Und in Zeiten, da die extreme Rechte bei den Wahlen im Osten triumphiert, mag das auch ein etwas wohlfeiler Versuch sein, das Image des Landes aufzubessern: Deutschland als Zuflucht für einen politisch verfolgten Künstler. Aber ist das deswegen «zynisches Kalkül», wie sich der Mann von «Artechock» ereifert? Als ob die Oscars ein hehres Fest der Filmkunst wären und nicht vor allem ein PR-Stunt der Industrie. Nur legitim, dort den Film ins Rennen zu schicken, dem man die besten Chancen einräumt. Wenn man dabei noch die Vorstellungen aufweichen kann, was denn zur «eigenen» Kultur gehört und was nicht: Dann ist das auch ein Zeichen gegen einen Kulturnationalismus, der im Film mit seinen internationalen Koproduktionen sowieso zusehends obsolet ist. Oder soll man wirklich bei jeder Gelegenheit vorrechnen, wie viele «eigene» Filme es nach Cannes oder zu den Oscars geschafft haben?

Amtlich gestolpert

In der Schweiz ist das Oscar-Verfahren politisch längst nicht so aufgeladen. Dafür stolpert das Bundesamt für Kultur (BAK) heuer über seine eigenen Vorgaben. Die hiesige Jury hat bereits eine Vorauswahl getroffen: Am 25. September wird entweder «Reinas» von Klaudia Reynicke oder «Le procès du chien» von Laëtitia Dosch als offizieller Schweizer Beitrag verkündet. Nur: Beide Filme erfüllen gar nicht alle Voraussetzungen, die das BAK in seiner Ausschreibung kommuniziert hatte. So müssen etwa die wichtigsten kreativen Funktionen überwiegend mit Schweizer:innen besetzt sein und die Schauspieler:innen «zu einem bedeutenden Teil aus der Schweiz stammen».

Während die beiden Filme die erste Bedingung vielleicht so knapp erfüllen, ist die zweite bei beiden klar nicht erfüllt. Man habe aber beide Filme «geprüft und für valabel befunden», schreibt das BAK auf Anfrage. Dass diese die Richtlinien der Academy erfüllen, steht ausser Frage. Die zusätzlichen Vorgaben des BAK, so schreibt das BAK, seien für eine Zulassung zu den Oscars «nicht bindend». Könnte man sie dann nicht gleich abschaffen?

«Reinas» läuft bereits im Kino, «Le procès du chien» erst in der Romandie. «The Seed of the Sacred Fig» kommt am 14. November 2024 ins Kino.